Inspektor Morse 07 - Huete Dich vor Maskeraden
ich weiß nicht, Sir, aber ich bin der Meinung...» protestierte Phillips.
Morse hob warnend die Hand. «Ich bin nicht hier, um mit Ihnen zu diskutieren, mein Junge!» Er blickte sich noch einmal um und schien sich gerade entschlossen zu haben, das Zimmer zu verlassen, als er plötzlich auf der Schwelle kehrt machte, geradewegs auf die Frisierkommode zusteuerte, nacheinander die beiden Schubladen aufzog und neugierig hineinspähte.
«Haben Sie erwartet, in den Schubladen irgend etwas zu finden, was uns weiterhelfen könnte?» fragte Lewis auf dem Weg zurück zum Hauptgebäude.
Morse schüttelte den Kopf. «Nein, das ist nur so eine Gewohnheit von mir. Ich habe vor zehn Jahren in einem Hotel in Tenby mal eine Zehn-Pfund-Note gefunden.»
Kapitel Neun
MITTWOCH, 1 . JANUAR: MITTAGS
Das Gute an einem Hotel ist, daß es Zuflucht bietet vor dem Leben zu Hause.
G. B. Shaw
Nach ihrer Rückkehr in das eigentliche Hotel ließ Morse die noch anwesenden Gäste im Restaurant zusammenrufen, informierte sie über den Mord (völlig unnötigerweise, wie Lewis fand, da sie ohnehin schon alle Bescheid wußten) und bat, falls irgendjemand Beobachtungen gemacht hätte, die möglicherweise zu einer Aufklärung des Falles fuhren könnten, diese mitzuteilen (als ob es dazu erst der Bitte bedurft hätte!).
Keiner der Gäste, die jetzt noch da waren, schien es mit der Abreise besonders eilig zu haben. Im Gegenteil. Ganz offensichtlich war der für viele das weitaus aufregendste Ereignis in ihrem bisherigen Leben, und dementsprechend gering war ihr Wunsch, sich vom Schauplatz dieses Ereignisses zu entfernen. Hinzu kam, daß es ihnen in ihrer Eitelkeit schmeichelte, möglicherweise durch ihre Aussagen Anteil an der Lösung des Falles zu haben. Erstaunlicherweise schien niemand die geringste Angst zu haben, daß, solange der Mörder nicht gefaßt war, ein zweiter Mord begangen werden könnte. Diese Angst wäre, wie sich im nachhinein zeigte, in der Tat völlig unbegründet gewesen.
Während Lewis sich daranmachte, die Personalien der noch anwesenden Gäste festzustellen, saß Morse neben Sarah Jonstone am Empfang und ging mit ihr die Briefe durch, die zwecks Buchung der Silvester-Arrangements zwischen dem Hotel und den Gästen in der Dependance gewechselt worden waren.
Sarah Jonstone war durch Morses Anwesenheit merklich irritiert, ihr linker Nasenflügel zuckte ab und zu nervös, während sie immer wieder hektisch an ihrer Zigarette sog. Morse, der am Tage zuvor gerade wieder einmal beschlossen hatte, das Rauchen endgültig aufzugeben, sah ihr mit dem Abscheu des frisch Bekehrten unwillig zu.
«Ihr Atem muß stinken wie ein nicht geleerter Aschenbecher», sagte er roh.
«So?» gab sie, mühsam ihre Fassung bewahrend, zurück.
«Ja!»
«Wem?»
«Sie wollen sagen «Also wollen Sie nun meine Hilfe oder nicht», fragte Sarah aufgebracht.
«Schon gut, also Zimmer Nummer eins», antwortete Morse pragmatisch.
Sarah reichte ihm zwei aneinandergeheftete Schreiben. Das untere las sich wie folgt:
F. Palmer London, W4, den 20. Dezember
29 A Chiswick Reach
Sehr geehrte Damen und Herren, meine Frau und ich möchten für das von Ihnen angebotene Silverster-Arrangement ein Doppelzimmer buchen — wenn möglich mitfranzösischem Bett. Wir hoffen, daß Sie noch ein Zimmer frei haben, und freuen uns auf Ihre Zusage.
Hochachtungsvoll
F. Palmer
Der Brief war von Hand geschrieben; der Anfrage beigefügt war der Durchschlag der vom Hotel erteilten, maschinengeschriebenen Antwort:
Sehr geehrter Mr. Palmer,
vielen Dank für Ihren Brief vom 20. Dezember. Unser Silvester-Angebot hat großen Anklang gefunden, und so müssen wir Ihnen leider mitteilen, daß die Zimmer im Hotel selbst bereits sämtlich ausgebucht sind. Wir möchten Sie jedoch darauf aufmerksam machen, daß die Möglichkeit besteht, zu drei Vierteln des sonst üblichen Preises ein Zimmer in der gerade fertig gewordenen Dependance zu buchen (detaillierte Angaben dazu finden Sie unter auf der letzten Seite unserer Broschüre). Ungeachtet einiger wirklich geringfügiger Unzulänglichkeiten ist der Preis für Zimmer dieser Qualität außerordentlich günstig, und wir hoffen sehr, daß Sie und Ihre Frau Gemahlin von diesem Angebot Gebrauch machen werden.
Wir bitten um schnelle Rückantwort, möglichst telefonisch - die Briefzustellung vor Weihnachten ist unserer Erfahrung nach
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