Inspektor Morse 07 - Huete Dich vor Maskeraden
Dependance erklärt hatte, Mrs. Ballard, die später in ihrem Tschador bei ihr aufgetaucht war, um sich über die Schmiererei in der Toilette zu beschweren — aber vielleicht irrte sie sich auch. Und dasselbe galt für den Ehemann. Sie meinte, daß es Mr. Ballard gewesen war, der im hellblauen Hemd, weißer Hose, karierter Ballon-Mütze, rötlich-braunen Stiefeln, Dreadlocks und kaffeebrauner Schminke als Rasta verkleidet kurz vor acht aus der Herrentoilette gekommen war, Mr. Ballard, der den ganzen Abend über so gut wie nichts gegessen hatte (Sarah hatte beim Abräumen gesehen, daß er sowohl die Grapefruit-Cerisette als auch das Consommé au Riz buchstäblich unberührt stehengelassen hatte), Mr. Ballard, der einen Großteil des Abends seiner Frau nicht von der Seite gewichen war, als sei er noch im Stadium frischer Verliebtheit, Mr. Ballard schließlich, der sie — Sarah — am späten Abend zum Tanzen aufgefordert hatte, aber ihre Erinnerung daran war nur vage, wie der ganze Abend um so vager wurde, je angestrengter sie sich bemühte, Einzelheiten zu erinnern.
Morse hörte ihr geduldig zu — er schien auch noch an den geringfügigsten Details Interesse zu haben.
«War er angeheitert?»
«Nein. Ich glaube, er hat kaum etwas getrunken.»
«Hat er versucht, Sie zu küssen?»
«Nein, natürlich nicht!» Sie spürte, daß sie wieder rot geworden war und verwünschte innerlich ihre blödsinnige Empfindlichkeit, zumal ein Blick in Morses Gesicht ihr gezeigt hatte, daß er sich über ihre Verlegenheit amüsierte.
Aber anstatt taktvoll darüber hinwegzugehen, sprach er sie sogar noch darauf an:
«Sie brauchen deswegen nicht gleich rot zu werden. Es ist doch nur natürlich, wenn ein Mann, nachdem er ein paar intus hat, in Versuchung gerät, jemanden wie Sie zu küssen, meine Liebe.»
«Ich bin nicht », antwortete Sarah kratzbürstig. Ihre Oberlippe zitterte etwas, und sie spürte, wie ihr die Tränen in die Augen stiegen.
Aber Morse sah sie zum Glück nicht so genau an, er hatte sich das Telefon herangezogen und war dabei, die Nummer der Auskunft zu wählen.
«Wenn Sie sich die Nummer der Ballards geben lassen wollen — das ist zwecklos. Es gibt keine Ballards in der West Street 84», sagte Sarah, froh, ihn auch einmal belehren zu können. «Sergeant Phillips...»
«Ich weiß», sagte Morse ungerührt, «aber wenn Sie gestatten, möchte ich das selbst noch einmal nachprüfen.»
Sarah sagte nichts mehr. Morse sprach einige Minuten mit einem offenbar höheren Beamten und stellte einige Fragen bezüglich Straßennamen und Hausnummern. Was er schließlich erfuhr, schien ihn nicht im mindesten zu überraschen. Er machte auch ganz und gar nicht den Eindruck, als sei er enttäuscht, sondern grinste Sarah, nachdem er den Hörer aufgelegt hatte, jungenhaft zu. «Sergeant Phillips hatte recht, Miss Jonstone. Es gibt in der West Street 84 in Chipping Norton keinen Mr. Ballard. Es gibt nicht einmal eine Nummer 84 in der West Street — da fängt man ja doch langsam an, sich zu fragen...» schloß er und tippte nachdenklich mit dem Zeigefinger auf den Durchschlag des Antwortschreibens, das Sarah an eine offenbar nicht existierende Adresse geschickt hatte.
«Ich fühle mich mittlerweile jenseits aller Fragen», sagte Sarah erschöpft.
«Nummer vier?»
Die Anfrage, datiert vom 4. Dezember, war ein Muster von Knappheit und Präzision. Der Brief war in einer zierlichen, überaus akkuraten Handschrift verfaßt.
Doris Arkwright Kidderminster
114 Worcester Road,
den 4. Dezember
Sehr geehrte Herren,
wünsche möglichst preiswertes Einzelzimmer im Rahmen
Silvester-Arrangement. Erbitte Nachricht.
Doris Arkwright
Die Zusage war beinahe ebenso kurz wie die Anfrage. Sie war zwei Tage später, am 6. Dezember, abgeschickt worden; Binyon selbst hatte den kurzen Brief unterschrieben. Quer über dem Durchschlag stand: Absage 31. Dezember — Schnee.
«Hat sie telefonisch abgesagt?» wollte Morse wissen.
«Ja, ich nehme an. Mr. Binyon muß den Anruf entgegengenommen haben.»
«Verlangen Sie keine Anzahlung?»
Sie schüttelte den Kopf. «Mr. Binyon meint, das mache einen schlechten Eindruck.»
«Bekommen Sie viele Absagen?»
«Nein, nur sehr wenige.»
«So? Na, ich glaube, da täuschen Sie sich: von den vier vorbestellten Zimmern in der Dependance sind zwei wieder rückgängig gemacht worden — das sind fünfzig Prozent!»
Sie mußte zugeben, daß er recht hatte. Das Schlimme daran war nur, daß er
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