deren Bücherbestand derart wertvoll sei, daß man es für nötig erachtet hätte, jeden der Bände buchstäblich an die Kette zu legen. Margaret mußte unwillkürlich lächeln, und obwohl sie geschichtsträchtigem Gemäuer oder Geschichte überhaupt nie viel hatte abgewinnen können, zog sie jetzt doch das Informationsblatt, das sie unten erhalten hatte, aus der Tasche und begann zu lesen.
... als Mary Königin von England wurde und das Land zum Katholizismus zurückkehrte, wurden Erzbischof Cranmer von Canterbury sowie die Bischöfe Latimer und Ridley in der Kirche St.Mary the Virgin zu Oxford der Ketzerei beschuldigt. Latimer und Ridley starben auf dem Scheiterhaufen. Cranmer wurde, nachdem er mehrfach widerrufen hatte, erneut nach St. Mary gebracht und zum Tode verurteilt. Er starb auf einem Scheiterhaufen, den man im Stadtgraben unweit des Balliol College errichtet hatte, die rechte Hand, die Hand, mit der er seinen Widerruf unterschrieben hatte, entschlossen in die Flammen haltend...
Unwillkürlich wanderte Margarets Blick zu ihrer eigenen Hand, und ein Schauder überlief sie, als sie an die qualvolle Sühne dachte, die Cranmer sich für seine Schwäche auferlegt hatte. Sie merkte auf einmal, daß sie angefangen hatte zu weinen, und zog rasch ein Taschentuch hervor, um sich die Tränen abzuwischen.
Die Treppe war jetzt nicht länger aus Holz, sondern aus Eisen, sie war steiler und schmaler und reichte auch nicht mehr wie vorher von Wand zu Wand. Durch ein schmales Fenster sah sie unter sich das Dach der Marienkapelle. Leichtfüßig kletterte sie weiter, so als ob die nach oben hin immer kälter werdende Luft sie beflügelte. In der Glockenstube traf sie auf den jungen Mann im Dufflecoat, der gerade eben die steinerne Wendeltreppe, die zur Spitze führte, heruntergekommen war. Die Haare zerzaust, das Gesicht vom Wind gerötet, rief er ihr fröhlich zu:
«Gleich haben Sie’s geschafft, viel höher geht’s nicht. Aber passen Sie auf, da oben ist es ziemlich glatt!»
Mit dem Gefühl, endlich am Ziel zu sein, trat sie aufatmend ins Freie. Kaum hatte sie über die Brüstung nach unten gesehen, spürte sie, wie ihr beim Anblick des schwarzen eisernen Ringes, der das vergoldete Zifferblatt der Turmuhr unmittelbar zu ihren Füßen einfaßte, schwindlig wurde. Doch sie erholte sich rasch und betrachtete entzückt die Kuppel der Radcliffe Camera sowie die Collegegebäude von All Souls und Hertford entlang der Catte Street. Ihr Blick wanderte nach links zum Balliol College, vor dessen Mauern Thomas Cranmer, wie sie jetzt wußte, auf dem Scheiterhaufen hingerichtet worden war. Nördlich davon begann die St. Giles’ Street, und sie konnte deutlich die Gabelung erkennen, an der sie sich nach links in die Woodstock und nach rechts in die Banbury Road teilte. Die Banbury Road... Ihre Augen fuhren suchend die Straße ab, bis sie ihn entdeckt hatte, den hohen gelben Kran hinter dem Hotel Haworth. Sie atmete tief durch. Und plötzlich war ihr, als weiche eine Last von ihrer Seele. Wieder traten ihr Tränen in die Augen, doch diesmal aus einem Gefühl der Freude; und während sie den Kopf zurücklegte, um den Wind auf ihrem Gesicht zu genießen, erwachte in ihr wieder jenes überschäumende Glücksgefühl, wie sie es damals als junges Mädchen verspürt hatte, wenn sie, einen Schirm verschmähend, ihr stupsnasiges Gesicht dem Regen entgegengehalten hatte.
Sie hatte sich gerade zum Gehen gewandt, als sie auf ihren hochhackigen Pumps plötzlich ausglitt. Haltsuchend streckte sie die Hände nach vorn. Der alte Stadtstreicher am Fuß des Turmes staunte nicht schlecht, als er plötzlich einen schwarzen Gegenstand durch die Luft segeln und mit einem satten
neben sich im tiefen Schnee landen sah. Es war, wie sich herausstellte, eine Handtasche, und der Zufall hatte es gefugt, daß sie beim Aufprall mit dem Schloß nach oben aufrecht steckenblieb, so als hätte sie jemand mit Absicht dort hingestellt.
Kapitel Einunddreißig
MONTAG, 6. JANUAR
Alles kommt zu dem, der wartet — nicht zu vergessen der Tod.
F. H. Bradley
Morse und Lewis hatten sich, nachdem klar war, daß Margaret Bowman noch nicht zurückgekehrt war, vor dem Haus ins Auto gesetzt, um zu warten — vielleicht käme sie ja doch noch. Doch die Minuten verstrichen, und es war deutlich zu merken, daß Morse zunehmend unruhiger wurde; er trommelte nervös mit den Fingern auf der Ablage und holte ab und zu tief Luft, als leide er unter Atemnot. «Glauben