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Inspektor Morse 07 - Huete Dich vor Maskeraden

Inspektor Morse 07 - Huete Dich vor Maskeraden

Titel: Inspektor Morse 07 - Huete Dich vor Maskeraden Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Colin Dexter
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das Wechselgeld, ein Fünfzig-Pence- und ein Zehn-Pence-Stück herausgab. Aber das machte ihr nichts aus. Mit Genugtuung schloß sie ihre Hand um den kleinen Stapel von nunmehr sechs Münzen. Irgendwann stellte sie plötzlich fest, daß das Glas vor ihr leer war — sie hätte nicht sagen können, wie lange sie schon an ihrem Tisch neben dem Fenster gesessen hatte. Den kleinen Münzschatz warm in ihrer Hand, wagte sie sich wieder hinaus, und auf einmal wich die Betäubung, und sie wurde sich ihrer Umgebung bewußt und stellte mit Erstaunen fest, daß sie sich ja auf der St. Giles’ Street befand. Sie überlegte, auf welchem Weg sie hergekommen war: sie mußte die Banbury Road hinuntergefahren, und das hieß — sie atmete tief durch — am Hotel Haworth vorbeigekommen sein — sie hatte es nicht gemerkt. Verlor sie allmählich den Verstand, oder litt sie an einer Art Bewußtseinsspaltung, so daß sie einerseits rein mechanisch irgendwelche Dinge tat, an die sie sich hinterher nicht mehr erinnern konnte, andererseits aber durchaus vernünftig und überlegt handelte, wie zum Beispiel jetzt, wo sie versuchte, vorsichtig aufzutreten, damit ihre schwarzen Pumps, die sie sich damals im November gekauft hatte, nicht mit den überall herumliegenden Resten von Schneematsch in Berührung kamen. Als sie ihren Metro erreichte, sah sie, daß unter dem rechten Scheibenwischer ein Strafmandat steckte. Die Politesse stand zwei Wagen weiter, den Block schon wieder gezückt — offenbar hatte sie einen weiteren Parksünder ausfindig gemacht.
    Margaret trat auf sie zu und deutete mit der Hand hinter sich auf ihren Wagen.
    «Wieso haben Sie mich aufgeschrieben?»
    «Ist das Ihr Wagen?»
    «Ja.»
    «Sie haben keinen Parkschein.»
    «Ja, ich weiß. Ich mußte mir erst das passende Kleingeld besorgen.» Sie öffnete ihre Hand und zeigte wie zum Beweis die sechs Zehn-Pence-Münzen.
    Die Politesse zuckte gleichgültig mit den Achseln. «Tut mir leid, meine Dame, aber auf dem Schild dort steht, daß Sie nur parken dürfen, wenn Sie einen Schein haben. Wenn Ihnen die nötigen Münzen fehlen, dann dürfen Sie sich eben hier nicht hinstellen.»
    Einen Moment lang blickten sich die beiden Frauen beinahe feindselig an. Doch als Margaret dann sprach, war ihre Stimme völlig emotionslos und unaggressiv.
    «Macht Ihnen denn so etwas Spaß?»
    «Darum geht es nicht», sagte die andere nicht ohne Würde, «ob es uns Spaß macht oder nicht, ist völlig egal; es ist einfach eine Arbeit, die getan werden muß.»
    Margaret Bowman drehte sich ohne ein weiteres Wort um und ging die Straße hinunter in Richtung Martyrs’ Memorial davon; die Antwort der Frau hatte sie getroffen. Diese sah ihr erstaunt nach: Gewöhnlich hatten Leute, die ein Strafmandat erhalten hatten, egal ob es sich um einen Mann oder eine Frau handelte, nichts Eiligeres zu tun als sich in ihr Auto zu setzen und mit Vollgas davonzubrausen. Aber diese Frau eben hatte so ganz anders reagiert... Margaret hatte die Cornmarket Street bereits hinter sich gelassen und Carfax, Oxfords zentrale Straßenkreuzung, erreicht, ehe die Politesse sich schließlich abwandte, um, nun doch sehr nachdenklich, wieder ihren Pflichten nachzugehen.

Kapitel Dreißig

MONTAG, 6. JANUAR

    Da führte ihn der Teufel mit sich in die heilige Stadt und stellte ihn auf die Zinnen des Tempels.
    Matth. 4,5

    Margaret Bowman stand am Fuß des Carfax Tower, des mächtigen, alten Stadtturms an der Ecke von Queen und Cornmarket Street, dessen Ostseite zur High Street hin lag. Weiße Schrift auf oxfordblauem Grund informierte potentielle Besucher, daß die Aussichtsplattform einen weiten Blick über Oxford und Umgebung gestatte, Eintritt: 50 p. Geöffnet Montag bis Samstag von 10 bis 18 Uhr. Wie sie so dastand und an dem wuchtig-blaßgelben Gemäuer zur zinnenbewehrten Balustrade emporsah, brach ihr auf einmal der Schweiß aus. Die Balustrade war vergleichsweise niedrig, und in der Vergangenheit hatte sie des öfteren, wenn sie im Vorübergehen einen Blick nach oben geworfen hatte, mit einem beinahe an Panik grenzenden Gefühl beobachtet, wie Leute auf der Plattform sich weit vornübergebeugt hatten, um ihren Angehörigen oder Freunden unten zuzuwinken. Sie litt jedoch nicht eigentlich unter Höhenangst — wie zum Beispiel Morse, dem schon schwindelte, sobald er seinen Fuß auf eine Haushaltsleiter setzte — , sie hatte vielmehr Angst, gestoßen zu werden. Diese Angst rührte aus ihrer Kindheit, als während eines

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