Inspektor Morse 07 - Huete Dich vor Maskeraden
Sie, daß sie noch auftaucht?» fragte der Sergeant. «Keine Ahnung.»
«Wie lange wollen wir warten?»
«Woher soll ich das wissen!»
«War ja nur ’ne Frage.»
Sie schwiegen. «Eines steht jedenfalls fest, Lewis», begann Morse nach einer Weile, «ich habe die ganze Sache gründlich vermasselt.»
«Also der Meinung bin ich nicht, Sir.»
«Aber Lewis, denken Sie doch mal einen Augenblick nach: Wir hätten sie unter keinen Umständen aus den Augen lassen dürfen.»
Lewis nickte, sagte aber nichts. Eine Viertelstunde verging, und von Margaret Bowman noch immer keine Spur.
«Was sollen wir tun, Lewis?» fragte Morse schließlich ratlos.
«Ich finde, wir sollten zu Bowmans Dienststelle gehen und dort fragen, ob sie einen Brief oder irgend etwas anderes Handschriftliches von ihm haben — müßten sie doch eigentlich. Und außerdem könnten wir uns bei seinen Kollegen erkundigen, ob er vielleicht einem von ihnen gesagt hat, was er vorhatte.»
«Und dann möchten Sie vermutlich noch, daß einer von ihnen mitkommt, um sich die Leiche anzusehen, stimmt’s? Seien Sie ehrlich. Lewis, Sie denken doch, daß es sich bei dem Toten um Bowman handelt, oder?»
«Ich würde nur gern Gewißheit haben», sagte Lewis. «Wir haben bisher noch keinen einzigen Schritt unternommen, um herauszubekommen, wer der Tote eigentlich ist.»
«Und Sie denken, es sei verdammt noch mal höchste Zeit, das nachzuholen?»
«Ja.»
«Na schön. Wie Sie meinen. Ich halte es für reine Zeitverschwendung, aber bitte...» Sein Ton war derartig bissig, daß Lewis ihn erstaunt ansah.
«Geht es Ihnen nicht gut, Sir?»
«Dumme Frage. Mir fehlt eine Zigarette — das sieht ja wohl ein Blinder.»
Der Besuch im Postamt forderte wenig Neues zutage. Tom Bowman hatte am Donnerstag, Freitag und Samstag nach Weihnachten gearbeitet und war dann wie vereinbart für eine Woche in Urlaub gegangen. Man hatte ihn heute zurückerwartet, aber er war nicht erschienen und hatte sich auch nicht entschuldigt. Er arbeitete seit sechs Jahren bei der Post und galt als ruhiger, pünktlicher und zuverlässiger Mann. Von seiner Frau Margaret wußte man nur wenig, außer daß sie irgendwo in Oxford tätig sei und großen Wert auf eine gepflegte Erscheinung lege. In der Personalakte Bowmans fanden sich zwei handgeschriebene Briefe: der eine sein damaliges Bewerbungsschreiben und mithin schon über sechs Jahre alt, der andere jüngeren Datums, ein Antrag, dem Pensionsfonds der Post beizutreten. Bowmans Schrift war über die Jahre gleich geblieben - sie schien identisch mit der in den beiden Briefen, die Margaret Bowman Lewis gezeigt hatte. Mr. Jeacock, der ebenso hilfsbereite wie tüchtige Dienststellenleiter, bedauerte, ihm nicht besser helfen zu können; um so bereitwilliger stimmte er zu, als Morse ihn bat, ihm einen von Bowmans Kollegen freizustellen — um in Oxford eine bisher nicht identifizierte männliche Leiche anzusehen, wie er sagte.
«Ich hoffe zu Gott, daß es nicht Tom ist», sagte Jeacock, als Morse und Lewis sich verabschiedeten.
«Ich glaube, da brauchen Sie keine Angst zu haben», antwortete Morse.
Wie immer waren die Autos, die das Pech hatten, hinter dem Polizeifahrzeug zu fahren, notgedrungen mit ihrer Geschwindigkeit auf die gesetzlich festgelegte Höchstgrenze hinuntergegangen, und als sich der weiße Ford, gefolgt von einem roten Postauto mit Mr. Frederick Norris, Sortierer im Postdienst Ihrer Majestät der Königin, kurz hinter Blenheim Palace die Schnellstraße erreichte, hatte sich ein veritabler Rückstau gebildet. Morse hatte Lewis aufgefordert, mit Rücksicht auf Mr. Norris nicht allzu sehr zu rasen, und Lewis war deshalb für seine Verhältnisse ungewöhnlich langsam gefahren. Am oberen Ende der Woodstock Road bog er nach links ab in eine kleine Straße, die zum Radcliffe-Krankenhaus führte. Ein Schild mit der Aufschrift Nur für Krankenwagen großzügig ignorierend, hielt er direkt vor dem Eingang zur Leichenhalle. Mr. Norris parkte hinter ihm.
«Wollen Sie nicht mitkommen?» fragte Lewis, als er sah, daß Morse keine Anstalten machte auszusteigen.
Morse schüttelte nur stumm den Kopf.
Fred Norris stand ein paar Sekunden wie versteinert, dann begann er zu Lewis’ Verwirrung langsam zu nicken. Man hätte nicht sagen können, wessen Gesicht bleicher war: das von Norris oder das des Toten; die Blässe des letzteren wirkte allerdings durch die stellenweise blau-rote Verfärbung der Haut infolge der Verletzungen besonders gespenstisch.
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