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Instinkt

Instinkt

Titel: Instinkt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Simon Kernick
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wechselte dabei die Straßenseite, so dass er jetzt auf ihrer Seite war und sie sein Gesicht erkennen konnte, das unbedingte Konzentration ausstrahlte.
    Zehn Meter, acht, sechs …
    Sie packte den Griff der Fahrertür und stemmte sich mit ihrem gesunden Fuß gegen den Rahmen.
    Vier Meter. Sie konnte sein Keuchen hören.
    Noch zwei Meter. Jetzt. Mit einer fließenden Bewegung trat sie die Tür auf, schloss kurz die Augen und hoffte, sein Tempo richtig eingeschätzt zu haben.
    Sie hatte. Unfähig abzubremsen, prallte Kent genau in dem Moment gegen die Innenseite der Tür, als sie ihren Scheitelpunkt erreicht hatte und zurückfederte. Die Wucht des Aufpralls schleuderte ihn über den Rahmen, er schlug einen Salto und knallte auf den Asphalt.
    Das Adrenalin schoss Tina ins Blut, als sie aus dem Wagen stürzte. Fast wäre sie mit ihrem verletzten Fuß eingeknickt, doch die lange angestaute Anspannung und Wut explodierten in ihrem Kopf, und mit ungeheurer Willenskraft richtete sie sich auf und hechtete mit nichts als einer Dose CS-Gas bewaffnet auf Kent zu.
    Kent war durch die Kollision zwar einigermaßen benommen, wälzte sich aber bereits wieder herum und stützte sich mit einer Hand ab, um hochzuspringen. Dann weiteten sich seine Augen vor Schreck, als er Tina auf sich herunterkommen sah.
    Zwar zählen die britischen Vorschriften zur Festnahme eines Verdächtigen weltweit zu den rigidesten und erlauben nur das absolute Minimum an Gewalt, doch Tina hatte die Regeln schon immer flexibel ausgelegt. Sie rammte ihm beide Knie in den Magen und versuchte, so viel Gewicht wie möglich dahinterzubringen. Sie ignorierte sein schmerzverzerrtes Stöhnen, brachte sich rittlings auf seiner Brust in Position, lehnte sich etwas zurück, damit sie nichts abbekam, und verpasste ihm eine freizügige Dosis CS-Gas in den aufgerissenen Mund und die weit geöffneten Augen.
    Er hustete, würgte und schlug unter ihr wild um sich. Er hatte trotz der atemraubenden Attacke noch mehr Durchhaltevermögen, als sie erwartet hatte, und hätte sie fast abgeworfen. Reflexartig hieb sie ihm mit voller Wucht die Faust ins Gesicht. Sie kostete das schrecklich-schöne Hochgefühl aus, das ihr der Aufprall ihrer harten Knöchel mit dem weichen Fleisch seiner Wange verschaffte, und schlug noch einmal und noch einmal zu, wütend und hart genug, dass sein Kopf bei jedem Treffer auf den Asphalt knallte.
    »Andrew Michael Kent«, bellte sie um Atem ringend, während der Mann seine Gegenwehr aufgab und erschlaffte. »Ich verhafte Sie unter dem Verdacht des Mordes. Sie müssen nichts sagen, aber alles, was sie sagen, kann Ihre Verteidigung schwächen, wenn sie bei der Vernehmung etwas verschweigen, was sie später vor Gericht vorbringen wollen. Alles was Sie sagen, kann als Beweismittel verwendet werden.«
    Noch während sie ihr Sprüchlein abspulte, eilten ihre Kollegen herbei und drückten Kent auf den Asphalt.
    »Ich bin unschuldig«, heulte er, ehe ihn ein Hustenanfall überwältigte.
    »Genau wie alle anderen, die ich erwischt habe«, brummte Tina, ehe sie sich erhob und es ihren Kollegen überließ, die Festnahme zu Ende zu bringen. Sie war ein wenig irritiert, aber keineswegs überrascht, wie sehr sie es genossen hatte, ihn fertigzumachen.

ZWEI
    Die Medien hatten ihn Night Creeper getauft. Innerhalb von dreiundzwanzig Monaten hatte er ganz London terrorisiert und fünf Frauen in ihren Wohnungen vergewaltigt und ermordet. Die Opfer hatte er scheinbar wahllos ausgesucht, allerdings entsprachen sie doch einem bestimmten Profil: weiß, ledig, beruflich erfolgreich und attraktiv. Das jüngste war fünfundzwanzig, das älteste siebenunddreißig. Darüber hinaus stürzten sich die Medien besonders auf den Fakt, dass in keinem der Fälle Spuren gewaltsamen Eindringens gefunden worden waren, und das, obwohl alle Wohnungen als sicher gelten durften und mit neuen Alarmanlagen ausgestattet waren. Dies verlieh dem Night Creeper in den Medien quasi mystische Dimensionen: ein Mann, der überall eindringen konnte, lautlos und ohne Spuren zu hinterlassen. Zwangsläufig steigerte dies die Ängste der alleinstehenden, attraktiven Karrierefrauen und ihrer Angehörigen im Großraum London.
    Als Tina vier Monate zuvor zum CMIT gestoßen war, nachdem sie sich erfolgreich auf eine freie Di-Stelle beworben hatte, lastete bereits gewaltiger Druck auf den Ermittlern. Nur verfügten sie über so gut wie keine handfesten Hinweise. Offenbar kannte sich der Killer in der Forensik aus und

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