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Instrumentalität der Menschheit

Instrumentalität der Menschheit

Titel: Instrumentalität der Menschheit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Cordwainer Smith
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zur Flucht besaß, als sie den Bären bemerkte.
    Sie schloß nur wieder die Augen.
    Während sie mit geschlossenen Augen dalag, fragte sie sich immer wieder, wo sie sich wohl befinden mochte.
    »Du befindest dich am Rand der Abhängigen Zone«, sagte der Bär in einwandfreiem Deutsch. »Du bist von einem Trottel gerettet worden. Du hast auf geheimnisvolle Weise einem Menschenjäger widerstanden. Zum ersten Mal in meinem Leben kann ich in einen deutschen Geist blicken und sehen, daß das Wort Manshonyagger in Wirklichkeit Menschenjäger bedeutet. Erlaube mir, mich vorzustellen. Ich bin der Mittelgroße Bär, der in den Wäldern lebt.«
    Die Stimme sprach nicht nur Deutsch, sondern sie sprach Deutsch auch auf genau die richtige Art. Die Stimme klang so deutsch, wie es Carlotta in ihrem bisherigen Leben von ihrem Vater gewohnt gewesen war. Es war eine männliche Stimme, vertrauensvoll, ernst, beruhigend. Mit geschlossenen Augen erkannte sie, daß es ein Bär war, der zu ihr sprach. Erstaunt erinnerte sie sich, daß der Bär eine Brille trug.
    »Was willst du? « fragte sie und setzte sich auf.
    »Nichts«, erwiderte der Bär mild.
    Carlotta fuhr fort: »Wer bist du? Wo hast du Deutsch gelernt? Was wird mit mir geschehen?«
    »Möchte das Fräulein«, erkundigte sich der Bär, »daß ich die Fragen der Reihe nach beantworte?«
    »Sei nicht albern«, schalt ihn Carlotta. »Die Reihenfolge ist mir gleich. Außerdem bin ich hungrig. Hast du irgend etwas zum Essen dabei?«
    Freundlich entgegnete der Bär: »Es würde dir nicht gefallen, nach Insektenlarven zu suchen. Ich habe Deutsch gelernt, indem ich deine Gedanken gelesen habe. Bären wie ich sind Freunde der Wahren Menschen, und wir sind gute Telepathen. Die Trottel fürchten sich vor uns, aber wir fürchten uns vor den Manshonyaggers. Wie dem auch sei, du brauchst dir keine Sorgen zu machen, denn dein Gemahl wird bald eintreffen.«
    Carlotta war hinunter zum Bach gegangen, um etwas zu trinken. Seine letzten Worte ließen sie mitten im Schritt verharren.
    »Mein Gemahl?« keuchte sie.
    »Aller Voraussicht nach. Es gibt da einen Wahren Menschen namens Laird, der dich heruntergeholt hat. Er kennt bereits deine Gedanken, und ich kann seine Freude darüber erkennen, ein menschliches Wesen gefunden zu haben, das wild und fremd und doch nicht wirklich wild und fremd ist. Im Augenblick denkt er, daß du vielleicht die Jahrhunderte überwunden hast, um der Menschheit das Geschenk der Vitalität zurückzugeben. Er denkt, daß ihr beide wundervolle Kinder haben könntet. Jetzt befiehlt er mir, dir nicht zu sagen, was er weiter denkt, aus Furcht, du könntest fortlaufen.« Der Bär kicherte.
    Carlotta stand mit offenem Mund da.
    »Du kannst in meinem Sessel Platz nehmen«, schlug der Mittelgroße Bär vor, »oder hier warten, bis Laird kommt, um dich zu holen. Auf jeden Fall wird für dich gesorgt werden. Deine Krankheit wird heilen, deine Übelkeit verschwinden. Du wirst wieder glücklich sein. Ich weiß dies, denn ich bin einer der weisesten von allen bekannten Bären.«
    Carlotta war zornig, verwirrt, ängstlich und wieder krank. Sie wollte davonlaufen.
    Etwas, daß so derb wie ein Hieb war, traf sie.
    Sie wußte, ohne daß man ihr es gesagt hatte, es war der Bär, dessen Geist den ihren gefangenhielt.
    Er traf sie – bumm! –, und das war alles.
    Sie hatte nie zuvor daran gedacht, wie bequem wohl der Geist eines Bären war. Er war wie ein großes, breites Bett, in dem man lag, während die Mutter sich um einen kümmerte, so daß man sich wie ein gehätscheltes kleines Kind fühlte und sicher war, bald gesund zu werden.
    Der Zorn verließ sie. Die Furcht verschwand. Die Krankheit begann zu verblassen. Der Morgen war wunderschön.
    Sie selbst fühlte sich wunderschön, als sie sich herumdrehte …
    Aus dem blauen Himmel, schnell, doch anmutig fallend, näherte sich die Gestalt eines bronzehäutigen jungen Mannes. Ein glücklicher Gedanke klopfte in ihr: Das ist Laird, mein Geliebter. Er kommt. Er kommt. Ich werde anschließend für immer glücklich sein.
    Es war Laird.
    Und so geschah es auch.



Die Königin des Nachmittags
     
    (THE QUEEN OF THE AFTERNOON)
     
     
    Mehr als nach allem anderen sehnte sie sich nach ihrer Familie, als sie zu erwachen begann. Sie rief nach ihr. »Mutti. Vati, Carlotta, Karla! Wo seid ihr?« Aber natürlich rief sie auf deutsch, da sie ein gutes preußisches Mädchen war. Dann erinnerte sie sich.
    Wieviel Zeit mochte vergangen sein, seit ihr Vater

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