Intensity
Risiko einer Störung, ja sogar einer Festnahme einging. Vielleicht lockte irgendein Geräusch ein schlaftrunkenes, verwirrtes Kind ins Schlafzimmer der Eltern, das dann verfolgt und zur Strecke gebracht werden mußte, bevor es das Haus verlassen konnte. Solche Aussichten erhöhten das Vergnügen, welches das Schwein aus seinen Aktivitäten im Schlafzimmer und Bad zog.
Und es war für ihn ein Vergnügen. Ein Zwang, aber keiner, an dem er verzweifelte. Spaß. Sein Hobby. Keine Schuld – daher auch kein Schmerz. Brutalität erfreute ihn.
Irgendwo im Haus spielte er entweder weiter oder ruhte sich aus, bis er bereit war, sein Spiel fortzusetzen.
Als ihr Zittern zu einem Schaudern abgeklungen war, wuchs Chynas Angst um Laura. Diese beiden gedämpften Schreie vor ein paar Minuten waren mit Sicherheit erklungen, nachdem Sarah bereits tot gewesen war; also mußte Laura von einem Mann im Schlaf überrascht worden sein, der nach dem Blut ihrer Mutter roch. Sobald er sie überwältigt und gefesselt hatte, hatte er schnell den Rest des ersten Stocks durchsucht, um festzustellen, ob ein weiteres Mitglied der Familie durch ihre erstickten Schreie gewarnt worden war.
Vielleicht war er nicht sofort zu Laura zurückgekehrt. Nachdem er in den anderen Zimmern niemanden gefunden hatte, war er wahrscheinlich auf Erkundung gegangen, überzeugt, daß er das Haus fest im Griff hatte. Wenn die Lehrbücher recht hatten, würde er wohl in jeden privaten Raum eindringen wollen. Den Inhalt der Schränke und Schreibtischschubladen seiner Gastgeber durchwühlen. Nahrung aus ihrem Kühlschrank essen. Ihre Post lesen. Vielleicht die schmutzige Kleidung im Wäschekorb betasten und an ihr riechen. Wenn er die Sammlung der Familienfotos fand, würde er sich vielleicht eine Stunde oder länger ins Wohnzimmer setzen und sich mit den Alben vergnügen.
Doch früher oder später würde er zu Laura zurückkehren.
Sarah Templeton war eine äußerst attraktive Frau gewesen, doch nächtliche Besucher wie dieser Mann wurden von der Jugend angezogen; sie nährten sich an der Unschuld. Laura war sein Festmahl, so unwiderstehlich wie Vogeleier für manche Schlangen.
Als Chyna endlich ihre quälende Übelkeit überwunden hatte und überzeugt war, daß sie sich nicht verraten würde, indem sie sich plötzlich lautstark übergab, verließ sie die dunkle Ecke und schlich durch den Raum.
Sie wäre im Elternschlafzimmer sowieso nicht sicher gewesen. Bevor der Besucher ging, würde er wahrscheinlich hierher zurückkehren, um einen letzten Blick auf die arme Sarah zu werfen, die in der Dusche ihre schlanken Arme in einer armseligen und wirkungslosen Abwehrhaltung gekreuzt hatte.
An der halb geöffneten Tür blieb Chyna stehen und lauschte.
Direkt gegenüber auf dem Gang kamen ihr die verblichenen Rosen der Tapete noch geheimnisvoller vor als eben. Das Muster wies eine so rätselhafte Tiefe auf, daß sie fast überzeugt war, sie könne die dornigen Ranken auseinanderschieben und aus dieser Papierlaube in ein sonniges Reich treten, in dem, wenn sie zurückschaute, dieses Haus nicht existierte.
Mit dem Licht der Nachttischlampe hinter ihr konnte sie nicht vorsichtig auf die Schwelle treten und in aller Ruhe nach rechts und links schauen, denn wenn sie sich in der Türöffnung befand, würde sie einen Schatten auf diese verblichenen Rosen auf der anderen Seite des Korridors werfen. Es wäre gefährlich, nach dieser unvermeidbaren Verkündung ihrer Anwesenheit länger als unbedingt nötig hier zu verweilen.
Von der langen Stille beruhigt, die Sicherheit zu versprechen schien, huschte Chyna schließlich zwischen Tür und Pfosten auf den Gang hinaus – und da war er. Drei Meter entfernt, kurz vor dem Absatz der vorderen Treppe, rechts von ihr. Er wandte ihr den Rücken zu.
Sie erstarrte. Halb im Korridor. Halb auf der Schwelle zum Schlafzimmer. Wenn er sich umdrehte, würde er sie aus dem Augenwinkel sehen, bevor sie zurückweichen konnte – und doch konnte sie sich in diesem Augenblick, in dem noch eine Chance bestand, ihm zu entgehen, einfach nicht bewegen. Sie hatte Angst, auch nur das geringste Geräusch zu machen – er würde es hören und sich zu ihr umdrehen. Selbst das Mikrogeflüster der Teppichfasern unter ihrem Schuh mußte, falls sie sich bewegte, ganz sicher seine Aufmerksamkeit erwecken.
Der Besucher tat etwas so Seltsames, daß Chyna von seiner Aktivität nicht minder gelähmt wurde als von ihrer Furcht. Er hatte die Hände gehoben und so hoch
Weitere Kostenlose Bücher