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Intensity

Intensity

Titel: Intensity Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dean R. Koontz
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der Oberkante des Doppelofens war eine Digitaluhr mit grünen Leuchtziffern eingebaut, die ein überraschend starkes Licht ausstrahlten, so daß sie ihren Weg durch die Küche finden konnte.
    Sie erinnerte sich, auf einer Seite der stählernen Spüle einen Hackblock aus Holz gesehen zu haben. Die Spülbecken befanden sich vor dem breiteren der beiden Fenster. Sie glitt mit der Hand über die Arbeitsfläche aus kühlem Granit, bis sie das Holz, an das sie sich erinnerte, gefunden hatte.
    Das Haus über ihr schien mit dichterem Schweigen erfüllt zu sein als je zuvor.
    Was macht das Arschloch da oben in dieser Stille, da oben in  dieser Stille mit Laura?
    Unter dem Hackklotz befand sich eine Schublade, in der sie Messer zu finden hoffte. Und fand. Ordentlich in einem Halter verstaut.
    Sie zog eins heraus. Zu kurz. Ein anderes: ein Brotmesser mit stumpfer, runder Spitze. Das dritte, das sie auswählte, erwies sich als Fleischermesser. Sie erprobte die Schneide vorsichtig an ihrer Daumenkuppe und stellte fest, daß sie ausreichend scharf war.
    Oben schrie Laura.
    Chyna setzte sich in Richtung Eßzimmertür in Bewegung, spürte dann aber intuitiv, daß sie es nicht wagte, dorthin zu gehen. Statt dessen stürmte sie zurück zur hinteren Treppe, obwohl sie dort nicht hinaufsteigen konnte, ohne Geräusche zu verursachen.
    Sie schaltete im Treppenhaus das Licht ein. Der Mörder konnte sie hier nicht sehen.
    Im ersten Stock schrie Laura erneut auf – ein schreckliches Heulen der Verzweiflung, des Schreckens und Entsetzens, ein Schrei, wie man ihn vielleicht in den Gaskammern von Dachau oder den fensterlosen Verhörräumen sibirischer Gefängnisse in der Ära der Gulags gehört hatte. Es war kein Hilfeschrei oder auch nur eine Bitte um Gnade, sondern ein Ruf nach Erlösung unter allen Umständen, selbst wenn die Erlösung der Tod sein sollte.
    Chyna stieg die Treppe hinauf, gegen diesen Schrei an, der ihr tatsächlichen Widerstand bot, als sei sie eine Schiffbrüchige, die sich gegen das erdrückende Gewicht des Wassers an die Oberfläche des Meeres kämpfte. Der Schrei war so kalt wie eine arktische Strömung und ließ sie bis aufs Mark frösteln, betäubte sie, pochte eisig in den Hohlräumen ihrer Knochen.
    Sie wurde von dem Drang überwältigt, mit Laura zu schreien, wie ein Hund vor Mitgefühl jault, wenn er einen anderen Hund leiden hört, überwältigt von dem tief verwurzelten Bedürfnis, vor Elend zu heulen angesichts der schieren Hilflosigkeit der menschlichen Existenz in einem Universum voller toter Sterne, und sie mußte gegen diesen Drang ankämpfen.
    Chynas Schrei wand sich zu einem Brüllen nach ihrer Mutter hoch, obwohl sie wissen mußte, daß ihre Mutter tot war.
    »Mammi, Mammi, Mammiii .« Sie war wieder zum abhängigen Kleinkind geworden, hatte plötzlich so große Angst vor dem Leben selbst, daß sie lediglich an der vertrauten Mutterbrust und in dem Herzschlag Trost finden konnte, an den sie sich aus dem Mutterleib erinnerte.
    Und dann plötzliche Stille.
    Düstere Stille.
    Auf der Brüstung auf halber Höhe zum ersten Stock stellte Chyna überrascht fest, daß das Gewicht des Schreis – wie Wasser in tausend Faden Tiefe – sie plötzlich zum Stehen gebracht hatte. Ihre Beine waren schwach; ihre Waden- und Schenkelmuskeln zitterten, als hätte sie einen Marathon gelaufen. Sie stand an der Schwelle des Zusammenbruchs. Da sie das Ende der Hoffnung bedeuten mochte, war die Stille nun genauso bedrückend wie zuvor der Schrei. Sie beugte den Kopf unter einer Lautlosigkeit, die so schwer wie eine Eisenkrone war, krümmte die Schultern und kauerte sich elend zusammen.
    Es wäre so leicht, sich gegen die Wand zu lehnen, auf den Boden zu rutschen, das Messer beiseite zu legen und sich wie ein Igel zusammenzurollen. Einfach zu warten, bis er fort war.
    Zu warten, bis ein Verwandter oder Freund der Familie eintraf, die Leichen entdeckte, die Polizei benachrichtigte und sich um alles kümmerte.
    Statt dessen zwang Chyna sich, nachdem sie nur ein paar Sekunden auf der Brüstung gewartet hatte, den Aufstieg fortzusetzen, und ihr Herz hämmerte dabei so hart, daß sie den Eindruck hatte, jeder weitere Schlag müsse sie zu Boden werfen. Ihre Arme zitterten unbeherrscht. Im Griff ihrer weißen Knöchel schnitzte das Fleischermesser vor ihr wacklige Muster in die Luft, und sie fragte sich, ob sie bei einer Konfrontation die Kraft haben würde, wirksam auszuholen und zuzustechen. Das war die Denkweise einer Verliererin,

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