Intensity
Leib rammen. Das war besser, als zu versuchen, es ihm in den Rükken zu stoßen, wo die Spitze von einem Schulterblatt oder einer Rippe abgelenkt werden oder von seinem Rückgrat abrutschen konnte. Sie mußte auf seinen weichsten Teil zielen. Auf diese Weise würde sie ihm Auge in Auge gegenüberstehen.
Ihm in die Augen sehen. Würde sie das zögern lassen? Er hatte es herausgefordert. Der Mistkerl. Sie dachte an Sarah, die auf dem Boden der Duschkabine nackt im kalten Strahl lag. Sie konnte es tun. Sie war dazu imstande.
In die Diele, über die Schwelle, auf die Veranda, sie war nicht nur bereit, ihn zu töten, sondern auch, bei dem Versuch zu sterben. Doch so sehr sie sich auch beeilte, sie war nicht schnell genug, denn er ging in diesem Augenblick nicht die Verandatreppe hinab, wie sie es gehofft hatte, sondern näherte sich bereits dem Wohnmobil. Lauras Last hatte ihn nicht im geringsten behindert. Er war unmenschlich schnell.
Sie sprang von der Veranda auf den Weg, nahm dabei die Treppe mit nur einem Schritt, und dann schlugen die Gummisohlen ihrer Schuhe so laut auf die Steinplatten, daß das Geräusch sogar das Ächzen des Windes übertönte. Der Mond war verschwunden und mit ihm die Hälfte der Sterne, verdrängt von sich auftürmenden Wolkenpalisaden, doch falls der Mörder sie hören und sich umdrehen sollte, würde er sie deutlich sehen können.
Offenbar hörte er sie nicht, denn er schaute nicht zurück, und Chyna verließ den Weg und setzte ihm auf dem leiseren Gras entschlossen nach.
Zwei Türen des Wohnmobils waren geöffnet: die Beifahrertür vorn und eine weitere auf derselben Seite des Fahrzeugs, aber im hinteren Drittel. Der Mörder hatte die hintere Tür gewählt.
Mit Laura in den Armen war er gezwungen, sich zur Seite zu drehen und sie eng an sich zu drücken, während er sich in die Türöffnung zwängte und die beiden inneren Stufen hinaufstieg, doch er war genauso flink, wie er stark war. Er verschwand in dem Fahrzeug, bevor Chyna ihn erreichen konnte.
Sie überlegte, ob sie ihm folgen sollte. Aber alle Fenster des Wohnmobils waren verhangen, so daß sie nicht wußte, ob er sich nach rechts oder links gewandt hatte. Und falls er Laura sofort abgelegt hatte, nachdem er das Fahrzeug betreten hatte, wäre er jetzt besser imstande, sich gegen einen Angriff zu verteidigen. Hinter der Tür hatte er Heimvorteil, und ihr Rachedurst machte sie nicht so unbesonnen, daß sie ihm dort gegenübertreten wollte.
Neben der geöffneten Tür drückte sie den Rücken gegen die Wand des Wohnmobils und wartete auf ihn. Sobald er wieder herauskam, würde sie über ihn herfallen, noch bevor sein Fuß den Erdboden berührt hatte. Das Überraschungselement stand noch immer auf ihrer Seite, war vielleicht größer denn je – denn der Mörder stand unmittelbar vor einer sauberen Flucht und fühlte sich vielleicht so gut, daß er leichtsinnig geworden war.
Vielleicht würde er gar nicht wieder herauskommen, doch zumindest mußte er hinausgreifen, um die Tür zuzuziehen.
Wenn er auf der Stufe stand und sich vorbeugte, um den Griff zu fassen, befand er sich nicht im Gleichgewicht, und sie konnte das Messer tief in ihn stoßen, bevor er zurückzucken konnte. Im Wagen eine Bewegung. Ein Poltern.
Sie spannte die Muskeln an.
Er tauchte nicht auf.
Erneut Stille.
Aus dem Nordwesten kam plötzlich ein stechender Blutgeruch, als läge in Windrichtung ein Schlachthaus. Dann war es vorbei, und ihr wurde klar, daß sie gar kein Blut gerochen, sondern sich an den Geruch der durchnäßten Laken im Schlafzimmer der Templetons erinnert hatte.
Die Aluminiumwand des Wohnmobils fühlte sich an ihrem Rückgrat kalt an, und sie zitterte, weil es den Anschein hatte, daß ein Teil der Kälte des Mannes im Wagen zu ihr durchsikkerte.
Das Warten zehrte an ihren Nerven. Wieder auflebende Furcht dämpfte ihren Zorn, verlagerte das Gleichgewicht vom Rachedurst zum Überlebenswunsch. Aber sie konnte es trotzdem noch schaffen. Sie konnte es noch schaffen. Sie bemühte sich, ihre irrwitzig heiße Wut zu bewahren.
Dann kam der Mörder aus dem Wohnmobil, doch er benutzte nicht den Ausstieg neben ihr. Er trat aus der offenen Tür im Fahrerhaus des Wagens.
Chyna stockte der Atem in der Kehle, und im kühlen Wind des aufziehenden Sturms schmeckte sie die Bitterkeit ihres Versagens.
Er war zu weit weg. Nicht mehr abgelenkt von Lauras Gewicht auf den Armen und dem Rasseln ihrer Fesseln, würde er Chyna kommen hören. Das
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