Intensity
sich Chyna, als sie ihn aus dem Laden kommen sah, flach auf den Boden fallen. Sie zählte darauf, daß die erste Reihe der Zapfsäulen alle Bewegungen auf Bodenhöhe verdeckte, und kroch auf dem Bauch unter das Wohnmobil.
Der Mörder stieß keinen überraschten Schrei aus, beschleunigte seine Schritte nicht. Er hatte sie nicht gesehen.
Aus ihrem Versteck beobachtete sie ihn. Als er näher kam, konnte sie im hellen Natriumlicht erkennen, daß dies dasselbe Paar schwarzer Lederstiefel war, das sie vor einigen Stunden aus ähnlicher Perspektive gesehen hatte, als sie unter dem Bett im Gästezimmer lag.
Sie drehte den Kopf und folgte ihm mit den Blicken, als er um das hintere Ende des Wohnmobils auf dessen rechte Seite ging, wo er an einer der Zapfsäulen stehenblieb.
Der Asphalt drückte kalt gegen ihre Schenkel, den Bauch, die Brüste. Durch die Jeans und den Baumwollpulli entzog er ihr viel Körperwärme, und sie fing an zu zittern.
Sie hörte, wie er den Zapfhahn aus der Halterung nahm, die Tankklappe auf der Seite des Wohnmobils öffnete und den Tankverschluß entfernte. Sie nahm an, daß es ein paar Minuten dauern würde, das Ungetüm vollzutanken, und schob sich aus ihrem Versteck, als sie hörte, wie der Zapfhahn in den Tank geschoben wurde.
Noch immer flach auf dem Boden liegend, sah sie plötzlich das Fleischermesser. Auf dem Asphalt. Drei Meter vor der vorderen Stoßstange. Das gelbe Licht schimmerte auf seiner Schneide.
Doch als sie ins Freie glitt, klackten, noch bevor sie sich aufrichten konnte, Stiefelabsätze über den Asphalt. Sie schaute unter dem Wohnmobil zur anderen Seite: Der Mörder hatte den Zapfhahn anscheinend mit dem Feststeller am Tank verankert, denn er setzte sich wieder in Bewegung.
Eilig zog sie sich, so leise wie möglich, wieder unter das Fahrzeug zurück. Sie hörte, wie Benzin in den Tank schwappte.
Der Mörder ging an der rechten Seite des Wohnmobils entlang, um die Vorderseite herum, zur Fahrertür. Aber er öffnete die Tür nicht. Er blieb stehen. Wartete. Dann ging er zu dem Messer, bückte sich und hob es auf.
Chyna hielt den Atem an, wenngleich sie es für unmöglich hielt, daß der Mörder intuitiv erkannte, welche Bedeutung das Messer hatte. Er hatte es nie zuvor gesehen. Er konnte nicht wissen, daß es aus dem Haus der Templetons stammte. Obwohl es unbestreitbar seltsam war, auf der Straße vor einer Tankstelle ein Messer zu finden, konnte es aus irgendeinem Fahrzeug gefallen sein, das hier vorbeigekommen war.
Mit dem Messer ging er zum Wohnmobil zurück, stieg ein und ließ die Fahrertür offen.
Über Chynas Kopf klangen die Schritte auf dem stählernen Boden so hohl wie Voodootrommeln. Soweit sie das zu beurteilen vermochte, blieb er in der Eßecke stehen.
Vess neigt nicht dazu, überall, wohin er schaut, Omen und Vorzeichen zu sehen. Ein Falke, der um Mitternacht über das Antlitz des Vollmonds fliegt, wird in ihm nicht die Erwartung wecken, eine Katastrophe oder großes Glück zu erleben. Eine schwarze Katze, die ihm über den Weg läuft, ein Spiegel, der zerbricht, während seine Reflexion darin gefangen ist, die Nachricht über die Geburt eines zweiköpfigen Kalbes – nichts davon wird ihn durcheinanderbringen. Er ist überzeugt, daß er Herr über sein Schicksal ist und spirituelle Transzendenz – falls es so etwas wirklich gibt – nur dem zuteil wird, der kühn handelt und intensiv lebt.
Dennoch ruft das große Fleischermesser ein gewisses Staunen in ihm hervor. Es hat eine Eigenschaft wie ein Totem, eine fast magische Aura. Er legt es vorsichtig auf den Küchentisch, wo das Licht die Schneide der Waffe mit einem nassen Glanz überzieht.
Als er es vom Asphalt aufgehoben hat, war die Klinge kalt, doch der Griff leicht angewärmt, als hätte es die Hitze seines Zugriffs vorweggenommen.
Irgendwann wird er einen Versuch mit dieser seltsamen, weggeworfenen Klinge durchführen, um festzustellen, ob etwas Besonderes geschieht, wenn er jemanden damit schneidet. Im Augenblick jedoch kann sie ihm nicht helfen, die vor ihm liegende Aufgabe zu bewältigen.
Die Heckler & Koch P7 steckt griffbereit in der rechten Tasche seines Regenmantels, doch er ist der Ansicht, daß sie für diese Situation nicht die angemessene Waffe ist.
Die zwei Jungs hinter der Kasse befinden sich nicht im Krieg wie in einem 7-Eleven-Markt in der Großstadt, haben aber bestimmt Vorsichtsmaßnahmen ergriffen. Nicht einmal Beverly Hills und Bel Air, wo reiche Schauspieler und Footballstars
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