Intensity
von den Glastüren der beleuchteten Kühlschränke rechts, um keinen verräterischen Schatten auf die Plattendecke zu werfen.
Obwohl sie sich bewegte, konnte sie seine schweren Schritte hören, doch wenn sie nicht stehenblieb, um zu lauschen, konnte sie nicht sagen, welche Richtung er eingeschlagen hatte. Und doch wagte sie es nicht, anzuhalten und sich zu überzeugen, denn es war möglich, daß er erneut in diesen Gang trat und sie dann sofort sah. Als sie das Ende des Ganges erreichte und um die Ecke bog, rechnete sie halbwegs damit, daß er kehrtgemacht hatte und nun direkt vor ihr stand.
Aber er war nicht zu sehen.
Chyna ging wieder in die Hocke und lehnte sich gegen das letzte Regal der Reihe. Sie befand sich nun wieder genau dort, wo sie zuvor gehockt hatte. Vorsichtig legte sie die leere Feuerzeugverpackung zwischen ihren Füßen auf den Boden, an dieselbe Stelle, von der sie sie vor kaum einer Minute aufgehoben hatte.
Sie lauschte. Keine Schritte. Abgesehen vom Geräusch der Kühltruhen nur Stille.
Mit abgeknicktem Daumen nahm sie das Feuerzeug in die Hand, bereit, am Zündrädchen zu drehen.
Vess steckt zwei Päckchen mit Käse-Erdnußbutter-Crackern, einen Erdnußriegel und zwei Hershey-Riegel mit Mandeln in die Taschen seines Regenmantels, in denen er bereits die Pistole, die Polaroid-Kamera und die Videokassette verstaut hat.
Er berechnet die Summe im Kopf. Da er keine Zeit damit verschwenden will, hinter die Registrierkasse zu treten und das Wechselgeld herauszunehmen, rundet er den Betrag auf den nächsten Dollar auf und legt das Geld auf die Theke.
Nachdem er Ariels Foto vom Boden aufgehoben hat, verharrt er, saugt die Atmosphäre des Nachspiels in sich auf. Ein Raum, in dem vor kurzem Menschen gestorben sind, hat eine ganz spezielle Stimmung, ähnlich jenem Augenblick im Theater, in dem absolute Stille herrscht, sobald nach einer perfekten Vorstellung der letzte Vorhang gefallen ist und bevor frenetischer Applaus einsetzt: ein Gefühl des Triumphs, aber auch das ernste Bewußtsein einer Ewigkeit, das wie ein kalter Tropfen an der Spitze eines schmelzenden Eiszapfens hängt. Wenn die Schreie verstummt sind und das Blut in der Stille Pfützen bildet, kann Edgler Vess die Folgen seiner kühnen Taten besser würdigen und die leise Intensität des Todes genießen.
Schließlich verläßt er den Laden. Mit dem Schlüssel, den er vom Brett genommen hat, schließt er die Tür ab.
An der Ecke des Gebäudes steht eine öffentliche Telefonzelle. Die gepanzerte Schnur macht es unmöglich, den Hörer abzureißen, also hämmert er ihn fünf, zehn, zwanzig Mal gegen den Telefonkasten, bis das Plastik zerbricht und das Mikrofon enthüllt. Er reißt es aus der zerbrochenen Sprechmuschel, wirft es auf den Boden und zermalmt es methodisch mit dem Stiefelabsatz. Dann hängt er den nutzlosen Hörer wieder in die Gabel.
Seine Arbeit hier ist getan. Dieses Zwischenspiel war zwar befriedigend, kam aber unerwartet; es hat ihn in seinem Zeitplan zurückgeworfen.
Er muß noch eine weite Strecke fahren. Er ist nicht müde. Am vergangenen Nachmittag hat er bis in den Abend hinein geschlafen, bevor er dann die Templetons besuchte. Aber er will keine Zeit verschwenden. Er sehnt sich nach seinem Zuhause.
Weit im Norden flattern weiche Blitze zwischen dichten Wolkenschichten, eher Bogen als Zacken. Vess freut die Aussicht auf einen großen Sturm. Hier auf Bodenhöhe, wo das Leben gelebt wird, sind Aufruhr und Durcheinander grundlegende Bestandteile des menschlichen Klimas, und aus Gründen, die er nicht versteht, beruhigt ihn jedesmal der Anblick von Gewalt in höheren Gefilden. Obwohl er nichts fürchtet, stört ihn der Anblick eines ruhigen Himmels – ob nun blau oder bewölkt – manchmal auf unerklärliche Weise, und wenn in einer klaren Nacht der Himmel voller Sterne ist, vermeidet er es, in diese Ungeheuerlichkeit zu schauen.
Jetzt sind keine Sterne sichtbar. Über ihm liegen nur düstere Wolkenmassen, die von einem kalten Wind getrieben werden. Blitze durchziehen sie kurz wie Adern, und sie scheinen mit einer Sintflut schwanger zu gehen.
Vess eilt über den Asphalt zu seinem Wohnmobil, versessen darauf, die Fahrt gen Norden wieder aufzunehmen, in den verheißenen Sturm zu geraten und den besten Ort der Nacht zu finden, an dem die Blitze mit zerschmetternder Gewalt und die Regenfälle in zerstörerischen Fluten kommen und starke Böen die Bäume entwurzeln werden.
Am Ende der Regalreihe kauernd, hatte Chyna
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