Intensity
gehört, wie die Tür geöffnet und wieder geschlossen wurde, und hatte nicht zu glauben gewagt, daß der Mörder endlich gegangen und ihre schwere Prüfung vorüber war. Mit angehaltenem Atem wartete sie darauf, daß sich die Tür wieder öffnete und seine Schritte erklangen, wenn er den Laden wieder betrat.
Als sie statt dessen hörte, wie der Schlüssel im Schloß kratzte und klickte und der Riegel an Ort und Stelle schnappte, schlich sie durch die mittlere der drei Reihen vor, blieb dabei geduckt und war mäuschenstill, weil sie damit rechnete, so irrational es auch sein mochte, daß er selbst draußen das leiseste Geräusch hörte.
Ein wütendes Hämmern, das durch die Mauern des Gebäudes widerhallte, ließ sie am Kopf des Ganges plötzlich innehalten. Er schlug heftig auf irgend etwas ein, doch sie konnte sich nicht vorstellen, worum es sich dabei handelte.
Als das Hämmern aufhörte, zögerte Chyna kurz, erhob sich dann aus der Hocke und beugte sich um das Ende der Regalreihe. Sie schaute nach rechts, am ersten Gang vorbei, zur Glastür und den Schaufenstern an der Vorderseite des Ladens.
Da er die Außenbeleuchtung ausgeschaltet hatte, lagen die Zapfsäulen in tiefer Dunkelheit da, so tief wie die auf dem Grund eines Flusses.
Zuerst konnte sie den Mörder nicht sehen; in seinem schwarzen Regenmantel war er eins mit der Nacht. Doch dann bewegte er sich, bewegte sich durch die Dunkelheit auf sein Wohnmobil zu.
Selbst wenn er zurückblickte, würde er sie in dem nur schwach beleuchteten Laden nicht sehen können. Ihr Herz hämmerte trotzdem, als sie in den freiliegenden Bereich zwischen dem Anfang der drei Gänge und der Theke trat.
Das Foto von Ariel lag nicht mehr auf dem Boden. Sie wünschte, sie könnte glauben, es habe nie existiert.
Im Augenblick waren die beiden Angestellten, die das Geheimnis ihrer Anwesenheit nicht preisgegeben hatten, wichtiger als Ariel oder der Mörder. Das Dröhnen der Flinte und das plötzliche Ende der nervtötenden Schreie hatten sie überzeugt, daß sie tot waren. Aber sie mußte sich vergewissern. Wenn einer von ihnen sich auf wundersame Weise ans Leben klammerte und sie Hilfe für ihn holen konnte – die Polizei und einen Krankenwagen –, würde sie vielleicht einen Teil ihrer Schuld begleichen können.
Sie war nicht imstande gewesen, das blutrünstige Arschloch aufzuhalten; sie hatte sich nur verstecken und inbrünstig beten können, daß er sie nicht fand. Nun rollte die Übelkeit wie ein Klumpen kalter Austern in ihrem Magen – und gleichzeitig verspürte sie eine widerliche Freude darüber, daß sie überlebt hatte, während so viele andere gestorben waren. So verständlich diese Begeisterung sein mochte, sie schämte sich, und um ihrer selbst wie auch um der beiden Angestellten willen hoffte sie, daß sie noch helfen konnte.
Sie drängte sich durch die Klapptür in der Theke, und das spitze Ächzen der Scharniere ging ihr durch Mark und Bein.
Eine Schreibtischlampe spendete etwas Licht.
Die beiden Männer lagen am Boden.
»Ah«, sagte sie. Und dann: »Gott.«
Ihnen war nicht mehr zu helfen, und sie wandte sich sofort ab, während ihr alles vor den Augen verschwamm.
Auf der Theke, direkt unter der Lampe, lag ein Revolver. Sie betrachtete ihn ungläubig und blinzelte gegen ihre Tränen an.
Offensichtlich hatte er einem der Kassierer gehört. Sie hatte das Gespräch zwischen dem Mörder und den beiden Männern mitgehört, und sie erinnerte sich vage an eine barsche Ermahnung, bei der es sich um eine Warnung hatte handeln können, eine Waffe fallenzulassen. Diese Waffe.
Sie griff danach, hielt sie in beiden Händen – ein Gewicht, das sie aufrecht hielt.
Sollte der Mörder zurückkehren, war sie bereit, nicht mehr hilflos, denn sie wußte mit Waffen umzugehen. Einige der verrückten Freunde ihrer Mutter waren Waffennarren gewesen, haßerfüllte Leute mit einem seltsamen Glanz in den Augen, der bei einigen ein Indiz für Drogenmißbrauch war, bei anderen aber nur sichtbar wurde, wenn sie leidenschaftlich über ihre tiefe Verpflichtung gegenüber der Wahrheit und Gerechtigkeit sprachen. Als Chyna erst zwölf Jahre alt gewesen war, hatten auf einer abgelegenen Farm in Montana eine Frau namens Doreen und ein Mann namens Kirk sie im Gebrauch einer Pistole unterwiesen, und ihre schlanken Arme waren beim Rückstoß jedesmal heftig hochgerissen worden. Doch sie hatten sie geduldig das Schießen gelehrt und ihr erklärt, daß sie eines Tages ein wahrer Soldat
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