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Intensity

Intensity

Titel: Intensity Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dean R. Koontz
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Dachböden oder, einmal, flach auf dem Bauch im Zwischenraum unter einem verfallenden Haus in Rattenscheiße liegend – hatte sie diese fünf Worte immer und immer wieder geflüstert oder sie leise und unermüdlich wie einen Gesang angestimmt: Chyna-Shepherd-unberührt-und-lebend, ihn unaufhörlich rezitiert, nicht weil sie befürchtete, Gott könne mit anderen Sachen beschäftigt sein und würde sie nicht hören, sondern weil sie sich selbst versichern wollte, daß er dort draußen war, ihre Nachricht erhalten hatte und sich um sie kümmern würde, wenn sie nur Geduld hatte. Und wenn die jeweilige Krise dann beigelegt war und die schwarze Flut des Entsetzens sich zurückzog, ihr stotterndes Herz endlich wieder klar, ruhig und gleichmäßig schlug, hatte sie die fünf Worte erneut gesprochen, aber mit einem anderen Tonfall als zuvor, diesmal nicht als Bitte um Erlösung, sondern als pflichtbewußte Rückmeldung, Chyna-Shepherd-unberührt-und-lebend, genau so, wie ein Matrose im Krieg seinem Kapitän Meldung erstattet, nachdem das Schiff einen wütenden Angriff feindlicher Flugzeuge überstanden hat: »Alle an Bord und wohlauf, Sir.« Sie war wohlauf; sie war nicht verschollen; und sie ließ Gott ihre Dankbarkeit mit denselben fünf Worten wissen und stellte sich vor, daß er den Unterschied in ihrer Betonung heraushörte und verstand. Das war zwischen Gott und der jungen Chyna zu einem kleinen Scherz geworden, und manchmal hatte sie der Meldung auch einen militärischen Gruß hinzugefügt, was ihr nicht schlimm vorkam, da sie herausbekommen hatte, daß Gott, da er ja schließlich Gott war, einen gewissen Sinn für Humor haben mußte.
    »Chyna Shepherd, unberührt und lebend.«
    Diesmal, im Schlafzimmer des Wohnmobils, war es sowohl die Rückmeldung einer Überlebenden als auch ein inbrünstiges Gebet, von der nächsten Brutalität, wie auch immer sie aussehen mochte, verschont zu bleiben.
    »Chyna Shepherd, unberührt und lebend.«
    Als kleines Mädchen hatte sie ihren Namen verabscheut – außer, wenn sie um ihr Überleben gebetet hatte. Er war extravagant, eine dumme, falsche Schreibweise eines richtigen Wortes, und wenn andere Kinder sie deshalb aufzogen, konnte sie sich nicht dagegen verteidigen. In Anbetracht der Tatsache, daß ihre Mutter Anne hieß – ein so einfacher Name! –, kam ihr die Entscheidung für Chyna nicht nur extravagant, sondern gedankenlos und sogar gemein vor. Während des Großteils ihrer Schwangerschaft hatte Anne in einer Kommune radikaler Umweltschützer gelebt – einer Zelle der berüchtigten Earth Army –, die der Ansicht waren, daß bei der Verteidigung der Natur jedes Ausmaß an Gewalt gerechtfertigt war. In der Hoffnung, Holzfäller würden bei Unfällen mit elektrischen Sägen ihre Hände verlieren, hatten sie große Nägel in Bäume geschlagen. Sie hatten zwei Fabriken, in denen Fleischkonserven hergestellt wurden, mitsamt den unglücklichen Nachtwächtern darin niedergebrannt, Baugeräte sabotiert, mit denen in der Wildnis neue Wohngebiete erschlossen werden sollten, und einen Wissenschaftler der Stanford-Universität ermordet, weil sie mißbilligten, daß er bei seinen Laborversuchen Tiere benutzte. Unter dem Einfluß dieser Freunde hatte Anne Shepherd zahlreiche Namen für ihre Tochter in Betracht gezogen: Hyacinth, Meadow, Ocean, Sky, Snow, Rain, Leaf, Butterfly … Doch als sie dann entbunden wurde, hatte sie sich von der Earth Army getrennt und Chyna nach China benannt, weil, wie sie ihr einmal erklärt hatte, »mir gerade klar geworden war, Schatz, daß China die einzige gerechte Gesellschaft auf der Erde hat, und ich fand den Namen wunderschön«. Sie hatte sich nicht erinnern können, wieso sie aus dem i ein y gemacht hatte, denn damals hatte sie in einem Methamphetamin-Labor gearbeitet, das Speed zu erschwinglichen Fünf-Dollar-Päckchen verpackte, und die Ware so oft probiert, daß ihr immer mal wieder ein paar Tage in ihrer Erinnerung fehlten. Nur wenn die junge Chyna um Erlösung betete, hatte ihr Name ihr gefallen, denn sie hatte angenommen, daß Gott sich deshalb leichter an sie erinnerte und sie nicht mit den Millionen von Marys und Carolines und Lindas und Heathers und Tracys und Janes verwechselte.
    Nun liebte oder haßte sie den Namen nicht mehr. Es war einfach ein Name wie jeder andere.
    Sie hatte gelernt, daß das, was sie war – der wahre Mensch , der sie war –, nicht das geringste mit ihrem Namen und nur wenig mit dem Leben zu tun hatte, das sie

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