Internat auf Probe
es einen Ausgang für die Not.“
„Du meinst einen Notausgang.“
„Oui!“
Carlotta wundert sich nur kurz, woher Sofie das wohl weiß.
Hauptsache, sie weiß es.
Unter einigen Zimmertüren dringen schmale Lichtstreifen hervor. Offenbar sind die Mädchen aus Zimmer 128 nicht die Einzigen, die in dieser Sturmnacht keinen Schlaf finden. Aber Carlotta und Sofie haben keine Zeit, sich darüber die Köpfe zu zerbrechen. Geduckt laufen sie die Treppe hinunter, flitzen durch die Eingangshalle und verschwinden schließlich im Speisesaal.
Die Flügeltür zum Vorratsraum der Schlossküche ist unverschlossen. Weiter hinten sieht Carlotta schon das grüne Schild aufleuchten, das den Notausgang markiert.
„Cool“, murmelt sie, als Sofie die Klinke der schweren Tür hinunterdrückt. Sie lässt sich mühelos öffnen.
„Diese Tür man kann nur von innen nach außen öffnen“, flüstert Sofie. „Zurück müssen wir durch ein Fenster klettern.“
Sie öffnet ein Küchenfenster und lehnt es an, damit sie später problemlos hindurchschlüpfen können.
„Hoffentlich drückt der Sturm es nicht auf“, bemerkt Carlotta. Sicherheitshalber stellen sie von innen ein paar Milchkartons gegen den Fensterrahmen. Die können sie später von außen beiseiteschieben.
Dann schlüpfen sie hinaus und stehen im Freien. Sofort erfasst eine Böe die Tür, reißt sie Sofie aus den Händen und schlägt sie mit einem lauten Knall zu. Obwohl im selben Moment ein heftiger Donnerschlag grollt, halten Carlotta und Sofie erschrocken den Atem an.
Carlotta erwartet, dass jeden Moment in der Küche das Licht angeht. Aber alles bleibt dunkel. Sie atmet erleichtert aus.
Mit langen Schritten laufen sie am Schloss entlang bis in den Park. Carlotta wirft einen Blick zurück und sieht, dass hinter einigen Fenstern gedämpftes Licht brennt. Davon abgesehen ist die Fassade des Schlosses in Dunkelheit gehüllt. Es sieht ziemlich unheimlich aus. Wie ein altes Gruselschloss, denkt Carlotta. Aber was war das? Bildet sie es sich nur ein, oder hat sich im zweiten Stock ein Vorhang bewegt? Oder war es vielleicht der Umhang eines Vampirs? Sie spürt, wie eine Gänsehaut über ihren Rücken kriecht. Ihre Nackenhaare richten sich auf. Schnell konzentriert sie sich wieder auf den Weg. Allein der Gedanke daran, bei ihrem heimlichen Streifzug außerhalb des Schlosses erwischt zu werden – egal, ob von einem verärgerten Lehrer oder einem blutrünstigen Vampir –, genügt, um ihre Zähne zum Klappern zu bringen.
Die Laternen am Wegesrand schwanken. Der Regen prasselt auf sie nieder. Schon bald sind die Mädchen patschnass.
„Und nun?“, fragt Sofie. Im Schein der Laternen sieht ihr Gesicht blass aus, geisterhaft, fast durchscheinend. Ihre blauen Augen sind riesengroß.
„Ich glaub, ich weiß, wo Manu ist!“, ruft Carlotta ihr zu und verdrängt ihre Angst. „Komm, wir müssen zum See!“
Sie nimmt Sofies Hand und zieht sie entschlossen hinter sich her. Plötzlich fällt ihr etwas ein und sie bleibt stehen: Was ist, wenn sie sich täuscht? Wenn Manu gar nicht im Gewächshaus ist, sondern stattdessen vielleicht fröhlich, warm und trocken im Aufenthaltsraum sitzt, heimlich fernsieht und dabei Cola und Chips in sich reinstopft?
Nein, ausgeschlossen! Carlotta schüttelt den Kopf und trabt weiter, Sofie im Schlepptau. Ihr Gefühl sagt ihr, dass Manus geheimnisvolles Verhalten und das alte Gewächshaus etwas miteinander zu tun haben. Nur was?, das ist hier die Frage. „Aber das kriegen wir auch noch raus“, brummt sie, Sofies fragenden Blick ignorierend.
Carlotta weiß nicht, wie lange sie und Sofie schon durch die Nacht gestolpert sind. Sie hat das Gefühl, als würden sie sich im Kreis bewegen. Nachts sieht alles ganz anders aus als am Tag. Und dann noch die Kälte, der Regen und der Sturm. Andauernd kleben ihr die Haare vor den Augen und rauben ihr das letzte bisschen Sicht.
„Wär ich doch nur im Bett geblieben“, murmelt sie vor sich hin.
Irgendwann taucht das Bootshaus vor ihnen auf und Carlotta weiß endlich wieder, wo sie sind.
„Links rum!“, ruft sie gegen den Sturm. Ihr Blick fällt auf den See. Er sieht wie verwandelt aus, düster und bedrohlich, als wolle er sie verschlingen. Hohe Wellen schlagen ans Ufer. Die Gischt sprüht bis zu ihnen auf den Weg. Schnell wendet sie den Blick ab und zieht Sofie weiter hinter sich her.
„Mon Dieu“, jammert die. „Ist es noch sehr weit?“
„Nein, wir sind gleich da“, ächzt Carlotta.
Sie traben
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