Internat Lindenberg - Achtung, es spukt
verlieren!“
Aber gerade an diesem Tag herrschte volles Programm. Nina hätte alles ausfallen lassen, aber der Ballettunterricht war ihr heilig. Hanna wollte dringend zum Reiten und Sophie dachte gar nicht daran, die Orchesterprobe zu schwänzen. Leonie wollte sich trotzdem noch nicht geschlagen geben.
„Könnt ihr nicht mal blaumachen?“, startete sie noch einen Versuch.
„Morgen ist doch auch noch ein Tag“, meinte Hanna ungerührt. „Wenn das Gespenst schon seit hundertfünfzig Jahren unterwegs ist, wird es schon noch bis morgen warten können. Für heute haben wir genug rausgefunden.“
„Für heute ist es genug, das ist ja eine tolle Einstellung“, maulte Leonie. Aber es half nichts. Heute biss sie bei ihren Freundinnen auf Granit.
Immerhin hatte sie den Erfolg, dass an diesem Nachmittag alle nur mit halber Aufmerksamkeit bei ihren Hobbys waren. Ganz entgegen ihrer sonstigen Gewohnheit.
Leonie selbst konnte sowieso an nichts anderes mehr denken als an die Mitteilung des angeblichen Gespenstes. Selbst als das Licht schon längst aus war, wälzte sie sich noch lange in ihrem Bett hin und her.
Schließlich fiel sie in einen unruhigen Schlaf und hatte einen seltsamen Traum. Leonie träumte, Schritte auf dem Gang zu hören, die langsam näher kamen. Ausgerechnet vor ihrem Zimmer hörten die Schritte auf. Ein unangenehmes Geräusch war zu hören. Wie wenn jemand mit einem langen Fingernagel an ihrer Tür kratzte. Mit leisem Knarzen ging die Tür einen schmalen Spalt auf. Leonie blickte zu Hanna hinüber. Erst in diesem Moment wurde ihr mit Entsetzen klar, dass sie nicht träumte! Denn Hanna schlug die Augen auf und blickte sie voller Angst an.
Die Tür öffnete sich noch einen kleinen Spalt und im fahlen Mondlicht konnten die beiden Mädchen erkennen, wie sich eine in weiße Tücher gewickelte Gestalt aus der Dunkelheit schälte. Die Erscheinung steckte den ebenfalls unter dem Tuch verborgenen Kopf ins Zimmer. Langsam blickte die weiße Gestalt von Leonie zu Hanna und wieder zurück, schüttelte dann kaum merklich den Kopf und zog die Tür leise wieder zu.
Leonie brauchte ein paar Sekunden, um sich aus ihrer Schreckensstarre zu lösen. Was war das? Ein Gespenst, das sich in der Tür geirrt hatte? Oder nur mal nach dem Rechten sehen wollte?
Und was sollte sie jetzt tun? Aufstehen und der Erscheinung folgen oder liegen bleiben und sich weiter schlafend stellen? Sie tauschte einen Blick mit Hanna, die wie sie mit angehaltenem Atem und hochgezogener Decke auf ihrem Bett lag und sie fragend anstarrte.
Da wusste sie, was zu tun war. Sie musste es wagen. Natürlich! Das war ihre große Chance! Was sollte Hanna sonst denken? Im ganzen Internat gab es keine Schülerin, die so viele schlaue Kommentare zum Thema Gespenster abgegeben hatte wie sie selbst. Wenn es sich jemand nicht leisten konnte zu kneifen, dann war das sie, Leonie Wichert.
Kurz entschlossen sprang sie todesmutig aus dem Bett und stürmte, ohne Schuhe anzuziehen, auf den Gang.
„Wenn ich in zehn Minuten noch nicht zurück bin, dann weckst du Frau Behrens“, flüsterte sie im Rauslaufen ihrer Mitbewohnerin zu.
Leonie sah die Gestalt in Richtung Ende des Ganges verschwinden und auf das Treppenhaus zuhalten. Leider konnte sie sie nur schräg von hinten sehen. Soweit man das trotz der Tücher sagen konnte, die das Gespenst umhüllten, handelte es sich um eine hochgewachsene, schlanke Gestalt. Leonie hörte Füße in schnellem Abstand auf die steinernen Treppenstufen klatschen. Das Gespenst schien es jetzt sehr eilig zu haben zu verschwinden. Sie fühlte, wie sich ihr Mut erschreckend schnell in Luft auflöste. Außerdem war es dunkel und kalt. Ein paar Sekunden starrte Leonie der Erscheinung unschlüssig hinterher. Sollte sie sich nicht doch lieber auf die weitere Verfolgung machen? Nein, jetzt besser nicht. Das hatte auch den zusätzlichen Vorteil, dass Frau Behrens nicht geweckt werden musste.
Nach kaum zehn Sekunden war sie wieder bei Hanna in ihrem Zimmer und schlüpfte in das warme Bett. Für heute hatte sie genug gesehen.
Alles muss man selber machen …
Am Vormittag im Unterricht konnte Leonie kaum einen klaren Gedanken fassen, geschweige denn den Vorträgen ihrer Lehrer zuhören. Am Nachmittag musste sie der Sache endlich auf den Grund gehen und gründliche Nachforschungen anstellen.
Die wichtigste Frage war: Wer war Emily Gibson? Eine ehemalige Schülerin vielleicht? Es gab tatsächlich ein paar Schülerinnen aus England und
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