Internat Lindenberg - Freundschaft in Gefahr
hier abziehst.“
Leonie verschränkt die Arme vor dem Körper und setzte eine strenge Miene auf.
„Noch einmal zum Mitschreiben“, sagte sie eisig. „Ich will erst meine Kamera wiederhaben. Wenn die wieder da ist, verschwende ich vielleicht mal einen Gedanken an dieses Blechrohr mit Löchern. Verstehen wir uns?“
Sophie wollte noch etwas erwidern, aber sie sah ein, dass es so keinen Zweck hatte. Sie trat den Rückzug an. Aber was nun? Sollte sie losgehen und die Lehrer verständigen? Nein, am Ende gab es dann noch eine Kurzschlussreaktion. Leonie würde das Beweisstück verschwinden lassen und sie sah ihre Flöte nie wieder. Vielleicht war es besser, eine Nacht über die ganze Sache zu schlafen. Unter diesen Umständen schlief sie allerdings mehr als schlecht. Genauer gesagt, sie machte fast kein Auge zu.
Am Sonntag nach dem Frühstück klopfte es an Leonies Zimmertür. Hanna machte auf und der Hausmeister stand vor ihr. Er hatte ein Paket unter dem Arm.
Robert Radtke, der Hausmeister ihrer Schule, war eine verwegen aussehende und in den Augen mancher ziemlich zwielichtige Erscheinung. Er war Anfang dreißig, stets schlecht rasiert und die Gerüchte über sein Vorleben, ehe er vor ein paar Jahren den Hausmeisterjob übernommen hatte, gingen auseinander. Die einen sagten, er wäre bei der Fremdenlegion gewesen, die anderen behaupteten, Herr Radtke hätte im Gefängnis gesessen. Leonie wusste, dass beides nicht stimmte, aber das interessierte sie im Moment auch herzlich wenig. Was konnte der Hausmeister wollen? Am Sonntag kam doch nie Post und seit wann trug der Mann überhaupt Pakete aus?
„Das lag vor der Tür“, erklärte er. „Habe ich gerade zufällig im Vorbeigehen entdeckt.“
Leonies Puls lief Amok. Von der Größe und Form her könnte ihr Aluminiumkoffer mit der Kamera darin sei n … Hastig riss sie die Verpackung auf.
„Heute ist dein Glückstag“, grinste Hanna, als sie den Inhalt sah. Alles war noch vorhanden. Leonie griff nach einem bedruckten Zettel, der auch in dem Paket gesteckt hatte.
„Lies vor“, meinte Hanna. Und Leonie begann:
„‚Liebe‘ Leonie!
Meinen richtigen Namen kann ich leider nicht nennen, das verstehst du ja sicher. Bei solchen Texten ist das nicht üblich. Ich habe ein paar schöne Bilder mit deiner Kamera aufgenommen. Am besten du druckst sie aus und bewirbst dich damit beim Fotowettbewerb „Mein wahres Ich“. Der erste Preis ist dir sicher. Du weißt ja, ein Bild sagt mehr als tausend Worte.
Anonyma“
Leonie hatte es eilig, die Bilder anzusehen. „Mein wahres Ich“, was sollte das nun wieder bedeuten? Hastig schaltete sie die Kamera ein. Auf dem Display erschienen Schweine: große Schweine, kleine Schweine, Nahaufnahmen von Schweinen, ganze Schweineherden. Etwa zwanzig Fotos, die offensichtlich in einem größeren Schweinestall aufgenommen worden waren, auch wenn man außer den Tieren nicht viel erkennen konnte.
„‚Mein wahres Ich‘, das ist der Hammer!“, riss sie Herr Radtke aus ihrer kalten Wut. Er hatte Leonie die ganze Zeit über die Schulter geschaut, was sie leider erst jetzt bemerkte. Der Hausmeister hielt sich vor Lachen den Bauch.
„Was gibt es da zu lachen?“, knurrte Leonie.
„Gar nichts“, sagte Herr Radtke und bemühte sich, todernst hinzuzufügen: „Schweine sind doch nützliche Tiere.“ Aber es gelang ihm nicht, ohne wieder loszuprusten.
„Das ist überhaupt nicht witzig, Sie Blödmann!“, zischte Leonie und löschte augenblicklich alle Bilder.
„Blödmann?“, kicherte der Hausmeister gut gelaunt. „Ja, das habe ich nun davon, dass ich das Ding gefunden und zurückgebracht habe. Hätte ich den Krempel behalten sollen? Tja, Undank ist der Welten Lohn.“ Immer noch lachend, machte er sich davon. „Oh Mann, ‚Mein wahres Ich‘!“, hörte man ihn noch vom Gang her prusten.
Leonie schäumte vor Wut. Aber auch Hanna war stocksauer.
„Bist du bescheuert?“, fuhr sie Leonie an.
„Soll ich mich vielleicht bei Radtke entschuldigen?“
„Von dem rede ich doch gar nicht“, versetzte Hanna. „Obwohl das vielleicht auch keine schlechte Idee wäre. Nein, du hast gerade Beweismittel vernichtet! Vielleicht hätten wir durch die Bilder einen Hinweis bekommen, wer sie aufgenommen hat, dann hätten wir den Dieb.“
„Beweismittel? Wozu brauche ich Beweismittel?“, giftete Leonie. „Die mache ich fertig, das werden sie mir büßen!“
„Mach jetzt bloß keinen Quatsch“, warnte Hanna sie. „Ich würde jetzt gerne
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