Internat und ploetzlich Freundinnen
Höhe.
„Hilfe, Schock! Der Vokabeltest!“ Carlotta angelt die zweite Socke von der Gardinenstange und reicht sie ihr. „Den hab ich komplett vergessen!“
„Nicht nur du“, stöhnt Manu.
Carlotta denkt nicht lange darüber nach, wie die Socke auf die Gardinenstange gekommen ist. Dass Manu ihre Sachen großzügig im Zimmer verstreut und ab und zu Probleme hat, sie wiederzufinden, ist nichts Neues. Viel wichtiger ist der bevorstehende Test. Ob es was bringt, jetzt noch einen Blick ins Buch zu werfen? Während des Zähneputzens vielleicht? Schaden kann es nicht, beschließt sie und schnappt sich ihr Englischbuch.
Ein paar Minuten später sitzen die Freundinnen beim Frühstück und hören sich gegenseitig Vokabeln ab, während sie Kakao schlürfen und ofenwarme Croissants mit Butter und Marmelade bestreichen.
„Ich kann mich überhaupt nicht auf die Vokabeln konzentrieren“, jammert Sofie. „Ich bin viel zu nervös wegen dem Gespräch mit Herrn Brönne.“
„Kann ich gut verstehen.“ Manu legt den Kopf in den Nacken und gurgelt mit ihrem Kakao. Am Nebentisch wenden sich die drei Barbies angewidert ab. Manu gurgelt noch einmal besonders intensiv und grinst.
„Mach dir keine Sorgen“, beruhigt Carlotta Sofie. „Der Brönne ist total nett. Der hilft dir bestimmt, deinen Vater zu überzeugen.“
„Hoffentlich“, sagt Sofie leise.
Manu fegt ihre Croissant-Krümel mit einer Hand zusammen, wirft sie sich in den Mund und steht auf.
Carlotta und Sofie bringen das Geschirr weg.
„Auf geht’s, Mädels!“, sagt Manu. „Hoffentlich hat der Herr Direktor gute Laune.“
Sie schiebt Sofie vor sich her, bis sie vor der Tür des Sekretariats stehen.
Sofie holt tief Luft und klopft an.
„Herein!“, ruft eine Stimme. Frau Müller-Stürzelbach, die Internatssekretärin, schaut verwundert auf, als die Mädchen ihr Büro betreten.
„Guten Morgen“, ergreift Carlotta das Wort. „Wir würden gerne mit Herrn Dr. Brönne sprechen. Ist er schon da?“
„Aber ja“, antwortet die Sekretärin. „Worum geht’s denn?“
„Das wollen wir ihm lieber selbst erklären“, druckst Carlotta herum. „Es ist ein bisschen kompliziert.“
„Kann das nicht bis zur Sprechstunde warten?“, fragt Frau Müller-Stürzelbach.
Carlotta, Manu und Sofie schütteln gleichzeitig die Köpfe.
„Nee, es ist echt dringend“, versichert Manu. „Ein Notfall sozusagen.“
„Dann will ich mal sehen, was ich für euch tun kann.“ Frau Müller-Stürzelbach steht auf, klopft an eine große, dunkle Tür und öffnet sie einen Spalt.
Carlotta kann sie reden hören, versteht aber nicht, was sie sagt.
„Bitte sehr.“ Die Sekretärin öffnet die Tür ganz und lässt die Freundinnen hindurch.
Unsicher bleiben sie vor dem altmodischen Schreibtisch stehen, hinter dem der Internatsleiter sitzt und ihnen aufmerksam entgegenblickt.
Sofie greift nach Carlottas Hand. Carlotta drückt sie ganz fest.
„Entschuldigen Sie die Störung“, sagt sie mutig. „Wir bräuchten dringend Ihre Hilfe.“
Leise zieht die Sekretärin die Tür hinter sich zu.
Dr. Brönne steht auf, kommt um den Tisch herum, begrüßt die Mädchen der Reihe nach und setzt sich dann auf die Tischkante. Die Arme vor der Brust verschränkt, lächelt er und sagt: „Dann schießt mal los! Worum geht’s?“
„Mann, der war ja komplett tiefenentspannt!“, staunt Manu. „Wenn ich alleine bei dem bin, ist er immer viel stressiger. Dann redet er mir total ernst ins Gewissen und will mir Verantwortung beibringen.“
Carlotta kichert. Sie trabt zwischen Sofie und Manu den langen Flur hinunter. Vor ein paar Minuten hat es zum Unterricht geläutet. Die Gänge sind wie leer gefegt. Nur vereinzelt huschen Nachzügler um die Ecken und verschwinden eilig in ihren Klassenzimmern.
Dass sie selbst auch zu spät kommen, stört die Mädchen nicht. Erstens war das Gespräch mit Dr. Brönne ein voller Erfolg, und zweitens hat der Schulleiter ihnen eine Notiz mitgegeben, die ihr Zuspätkommen erklärt.
„Wieso rennen wir eigentlich so?“ Manu bleibt stehen und wedelt mit der Entschuldigung. „Wir können uns ruhig Zeit lassen. Immerhin haben wir ein offizielles Schreiben.“
„Stimmt“, lächelt Sofie. Die Erleichterung darüber, dass Dr. Brönne ihren Vater sofort angerufen und ihn davon überzeugt hat, wie wichtig es für sie ist, nach Hause zu kommen, ist ihr deutlich anzusehen.
Der Schulleiter hat außerdem erzählt, dass es für solche Notfälle einen Hilfsfonds gibt,
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