Internet – Segen oder Fluch
moralischen Kriterium und seine Verwendung automatisch zu einer Wertung, die der Diskussion im Weg steht. Der Begriff «Raubkopie» hört sich zwar für die meisten Ohren recht normal an – aber tatsächlich rückt er den nicht gerade gewalttätigen Akt des Kopierens metaphorisch auf die Ebene eines Gewaltverbrechens. Umgekehrt ist aufseiten derer, die eine Urheberrechtsreform fordern, oft die Beschimpfung «Contentmafia» zu hören. Gemeint sind damit Inhalteverwerter und damit mehr oder weniger alle, die von der Einräumung von Nutzungsrechten leben, speziell aber diejenigen, die auch versuchen, diese Rechte im Netz juristisch durchzusetzen. Es liegt nahe, dass die Verwendung solcher Begriffe eher zur Frontenverhärtung führt als zur Annäherung an eine Lösung.
Mit der Wahl einer Metapher wählt man auch aus, welche Bereiche des Internets man besonders hervorhebt und wichtig findet und welche man ausblendet. Die Verkehrsmetapher verstärkt zum Beispiel das Bild einer Infrastruktur, die dringend der Regelung bedarf und sich wohl auch auf eine Art regeln lässt, die von den meisten Bürgern als hilfreich und sogar notwendig betrachtet wird; schließlich geht es ja auch im Kraftverkehr nicht ohne klare Regeln. Sie drängt aber gleichzeitig die Tatsache in den Hintergrund, dass im Internet keine dinglichen Bewegungen stattfinden und dass von jedem im Netz verbreiteten Inhalt automatisch eine verlustfreie Kopie auf dem Zielrechner erstellt wird. Was nicht innerhalb der Metapher abgebildet werden kann, wird ausgeblendet und fällt oft ersatzlos weg. «Die Grenzen meiner Sprache bedeuten die Grenzen meiner Welt», sagte Wittgenstein, und das gilt nicht nur für die Sprache insgesamt, sondern auch für die kleinen Sprachwelten, die Metaphern erschaffen. Sprachbilder verführen also nicht nur zu falschen kausalen Schlussfolgerungen, sie enthalten nicht nur oft eine wenig zielführende Wertung. Sie machen auch blind für alles, was in der jeweiligen Sprachbildwelt nicht vorhanden ist. Metaphern taugen deshalb allenfalls zur Heranführung an eine neue Thematik, für erste Annäherungen. Dann aber müssen sie aufgebrochen, variiert oder besser noch ganz vermieden werden.
Das, was Metaphern im Detail tun, bewirkt ein anderes Mittel unserer Sprache im Großen: Als Narrative bezeichnet man anekdotische Zusammenhänge und Behauptungen, Minigeschichten, die oft weitererzählt und dabei leicht variiert werden. In einer deliberativen Demokratie, also einer Demokratie, an deren Gestaltung sich die Bürger nicht nur über Wahlen, sondern auch durch die Diskussion der politischen Themen beteiligen, sind Erzählungen nichts grundsätzlich Schlechtes. Mit Narrativen finden auch Erfahrungen, Gruppenüberzeugungen und Gefühle einen Platz in der Politik. Es kommt deshalb darauf an,
wie
Narrative verwendet werden. Wenn sie zur Illustration oder als Anregung dienen, können sie eine sinnvolle Ergänzung im politischen Diskurs darstellen. Fungieren sie dagegen als Tatsachenbehauptung oder als narrative Aufforderung, können sie sich verselbständigen. Franz Josef Strauß’ Diktum von 1986 , «Rechts von der CSU darf es keine demokratisch legitimierte Partei geben!», war ein Narrativ, das als konkrete politische Vorgabe wirkte. Es schillerte ambivalent und diente sowohl als Abgrenzung gegenüber der rechtsradikalen Partei «Die Republikaner» wie auch zur Legitimation ultrarechter Strömungen innerhalb der CSU . Es gibt viele andere Beispiele: «Die Rente ist sicher», «Ohne Atomstrom gehen in Deutschland die Lichter aus», das Kürzestnarrativ «Freiheit statt Sozialismus» – Narrative beeinflussten die bundesdeutsche Politik von Anbeginn. Eins der plumpesten, aber auch lustigsten politischen Nachkriegsnarrative gab Erich Honecker im Spätsommer 1989 , drei Monate vor dem Zusammenbruch der DDR , von sich: «Den Sozialismus in seinem Lauf halten weder Ochs noch Esel auf.»
In diesem Fall ist das hervorstechende Merkmal von Narrativen deutlich erkennbar: Es handelt sich um rein erzählerische Konstruktionen, nachprüfbare Fakten spielen kaum eine Rolle. Narrative mögen sich zwar wahr anfühlen, sie müssen aber nicht wahr sein. Sie veranschaulichen einen persönlichen Eindruck und verdichten sich durch jede Wiederholung und erneute Erzählung. Der französische Philosoph Roland Barthes nannte die textlichen und bildlichen Phänomene, die die Gesellschaft prägen, die
Mythen des Alltags
. In seinem Buch von 1964 findet sich ein
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