Internet – Segen oder Fluch
zu verdichten: Zensursula. Kürzer und prägnanter ließ sich nicht ausdrücken, warum das Gesetzesvorhaben zu bekämpfen sei. Bewaffnet mit diesem alles sagenden Schlagwort, riefen die Netzaktivisten zur Zeichnung der E-Petition auf den Servern des Bundestags auf. In der medialen Berichterstattung markierte die überaus erfolgreiche Petition den Wendepunkt, weil sie zeigte, dass hier nicht bloß ein paar hundert Netzaktivisten protestierten. Die Medien wiederum machten klar, dass es sich um wahlrelevante Größenordnungen handelte – ungefähr so, wie in der klassischen Mediendemokratie Aufnahmen von Großdemonstrationen wirken. Politischer Druck durch Öffentlichkeit wurde in Deutschland auch noch 2009 nicht über Twitter, sondern über die traditionellen Medien ausgeübt – die über die Vorgänge in den sozialen Medien berichteten.
Im Moment wirkt das Internet also über Bande, zusammen mit anderen Medien. Es ist wahrscheinlich, dass soziale Medien weniger die Funktionen von Fernsehen, Radio, Zeitungen übernehmen werden. Schon eher werden sie andere Kommunikationskanäle ergänzen oder ersetzen, Plakate, Flugblätter, politische Versammlungen. Solange also die Politik auf einen Leitartikel in der
FAZ
, 500 000 Leser, reagiert, auf eine Facebook-Gruppe mit 500 000 Mitgliedern aber nicht, bleibt das soziale Internet vor allem ein indirektes Mittel. Selbst das Guttenplag-Wiki, das die plagiierten Stellen der Doktorarbeit des damaligen Verteidigungsministers zu Guttenberg sammelte, war nur Auslöser des Skandals. Der Rücktritt Guttenbergs erfolgte erst, als der Druck der klassischen Medien zu groß wurde.
Die sozialen Medien wirken naheliegenderweise vor allem auf diejenigen, die sie selbst benutzen. Aber selbst wenn die Politik geschlossen anfinge zu twittern, wären 140 Twitterzeichen vermutlich weniger wirkungsvoll als eine gleich lange Überschrift im
Spiegel
. Auch der meistgelesene Tweet erreicht noch immer nur einen Bruchteil des Tagesschau-Publikums. Das Netz wirkt wie ein Verstärker. Was auch immer Leute vorhaben, ob gut oder böse, das Internet vergrößert das Potenzial ebenso wie den Aktionsspielraum. Die peinlich naheliegende Antwort auf die Frage, ob man dem Netz trauen kann, lautet: So viel und so wenig wie den Menschen darin.
Was ist und was kann Digitale Demokratie?
Jean-Jacques Rousseau, Wegbereiter der Französischen Revolution und Vordenker der neuzeitlichen Demokratie, bezeichnete schon im 18 . Jahrhundert die Presse als «vierte Säule des Staates» (neben den Staatsgewalten Legislative, Exekutive und Judikative). Die stolze Selbstbezeichnung der Journalisten als Vierte Gewalt kam im 19 . Jahrhundert auf, als ihnen mit der Entwicklung einer Bürgergesellschaft die Aufgabe zukam, die Regierung zu kontrollieren. Irgendwann in den 1970 er Jahren manifestierte sich aufgrund der enormen Bedeutung des Fernsehens für die Darstellung von Politik eine neue Bezeichnung: Mediendemokratie. Im
Spiegel
taucht dieser Begriff im Mai 1979 das erste Mal auf, im Zusammenhang mit Margaret Thatcher, welche «unter der modernen Medien-Demokratie» gelitten habe, «die einer Frau in der Politik noch Schwierigeres abverlangt als ihren männlichen Kollegen».
Der Unterschied zwischen den Begriffen der journalistischen Vierten Gewalt und der Mediendemokratie ist Ausdruck einer Zeitenwende. Das Medium wird wichtiger als der Inhalt, den es transportiert [13] . Die Vierte Gewalt sind bewertende Kontrolleure, also Personen. Medien sind Technologien. Gerhard Schröders Spruch von 1998 , zum Regieren nur «Bild, BamS, Glotze» zu brauchen, verdeutlicht den Unterschied. Wichtig sind einzelne, reichweitenstarke Zeitungen und das ganze Medium Fernsehen, eine Bühne, die in jedem Fall ihren Zweck erfüllt.
So lässt sich am Wort Mediendemokratie der wachsende Einfluss der Technologie auf die Nachkriegsdemokratie ablesen. Neil Postman hat speziell das Fernsehen als politikverändernd betrachtet. «Denn im Fernsehen wird der Diskurs weitgehend mit visuellen Mitteln geführt – oder anders gesagt, das Fernsehen liefert uns einen Austausch in Bildern, nicht in Worten. […] Politische Ideen lassen sich im Fernsehen nicht erläutern. Seine Form arbeitet gegen den Inhalt.» Von Richard Nixon ist die Behauptung bekannt, er habe eine Wahl verloren, weil ihn die Make-up-Leute sabotierten. Die Visualität des Fernsehens treibt die Politik noch mehr in Richtung Inszenierung.
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