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Internet – Segen oder Fluch

Internet – Segen oder Fluch

Titel: Internet – Segen oder Fluch Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kathrin Passig , Sascha Lobo
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und Evgeny Morozov, im April 2010 von der
FAZ
und dem Debattenportal edge.org veranstaltet, wurde diskutiert, ob das Internet und die sozialen Medien überhaupt einen messbar positiven Effekt auf politische Bewegungen hätten. Shirky, der Optimist, sah in der Sperrung verschiedener Plattformen im Iran, in Burma und auch im autoritär geführten Singapur eine Tendenz: «Haben diese Regimes recht, wenn sie sich vor einer besseren sozialen Koordination der Öffentlichkeit fürchten? Ich glaube, ja.» Morozov dagegen, der später in seinem Buch «The Net Delusion. How Not to Liberate the World» ( 2011 ) gegen die politische Interneteuphorie argumentierte, erkannte dagegen die intensive Kommunikation in den sozialen Medien an, aber er war nicht von deren Wirkung überzeugt: «Es gab zwar ein hohes Maß an Abstimmung in der digitalen Welt, aber dass das zu koordinierten Straßenprotesten geführt haben soll, bezweifle ich eher.»
    Morozovs Zweifel an der Mobilisierungsfunktion der sozialen Medien sind noch nicht sein stärkster Einwand gegen die Thesen politischer Interneteuphoriker. Die sozialen Medien vereinfachen zwar unstrittig die Kommunikation politischer Aktivisten, aber sie verbessern gleichzeitig auch das Überwachungsinstrumentarium der Gegenseite, zum Beispiel der Geheimdienste repressiver Staaten. Ein Wettrüsten zwischen Aktivisten und Staatsorganen scheint die Folge. Und wenn man Morozov glaubt, überwiegen die Vorteile für die Apparate.
    Taugen die sozialen Medien für substanziellen, politischen Aktivismus? Die unterschiedlichen Antworten auf diese Frage führten zwischen 2009 und 2012 zu vielen Volten der öffentlichen, medialen Meinung in der Bundesrepublik und anderen Staaten. Bis Anfang 2009 häuften sich die Artikel, die Twitter als Spielerei und Zeitverschwendung bezeichneten. Als nach der iranischen Präsidentschaftswahl im Juni 2009 die aufflammenden Proteste via Twitter organisiert und in alle Welt getragen wurden, änderte sich das Bild kurzfristig. Die Kurzmitteilungsplattform schien alle Hoffnungen bezüglich Social Media und Demokratie zu bestätigen. Bis ein paar Monate später offensichtlich wurde, dass sich das iranische Regime doch nicht einfach mit ein paar Tweets und internationaler Internetsolidarität niederringen lassen wollte. Twitter wurde von der politischen Hoffnung zum Strohfeuer der Demokratisierung. Anfang 2011 drehte sich die Meinung erneut, als der Arabische Frühling Tunesien und Ägypten von ihren Diktatoren befreite. In Tunesien hatte Facebook eine so wichtige Rolle gespielt, dass die Geheimdienste versuchten, mit Hilfe der beiden staatlichen Provider sämtliche Passwörter aller tunesischen Nutzer zu Spionagezwecken zu knacken. Der ägyptische Autokrat Mubarak hielt sich nicht mit so filigranen Methoden auf und schaltete das Netz lieber gleich vollständig für drei Tage ab. Nach dem Sturz der Diktatoren hielten Bürger freudestrahlend Schilder mit «Facebook» und «Twitter» in die Kameras der Journalisten, der Begriff «Facebook-Revolution» wurde ernsthaft diskutiert. Mit dem Arabischen Frühling neigte die mediale Öffentlichkeit wenigstens vorübergehend wieder der Auffassung zu, dass die sozialen Medien eine politische Macht bedeuten, die im Zweifel für die Demokratie wirke. Intensive Hintergrundrecherchen für dieses Buch ergaben jedoch, dass es auch schon vor Facebook und Twitter zu Revolutionen gekommen sein soll. Eventuell hat also der Arabische Frühling aus demselben Grund stattgefunden wie Hunderte Revolten zuvor, und die sozialen Medien lagen einfach günstig am Weg. Sie wurden genutzt wie so viele Kommunikationsinstrumente zuvor, wie Mundpropaganda (die ja wegen ihrer politischen Wirkung auch so heißt), wie Kassiber, Flugblätter oder Plakate. Den entscheidenden Part der Aufstände in Nordafrika spielten mutige Bürger, die auf den Straßen protestierten, und nicht Pixel. Allein die Rolle der Pixel bei der Motivation und Organisation der Bürger steht zur Debatte.
    Das Internet verändert jedoch auch den Demokratisierungsprozess, und innerhalb dieser Veränderung bekommen neue Kräfte überhaupt erst eine Chance, mitzuwirken. Neue Kräfte, das hört sich zunächst schön an. Evgeny Morozov erwähnt aber auch eine ganz andere Möglichkeit: «Sollten wir uns nicht auch fragen, ob das Netz die Menschen empfänglicher für nationalistische Botschaften macht?»
    Denn neue Kräfte bestehen eben nicht immer aus jungen, gut ausgebildeten Demokratiefans. Sie

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