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Internet – Segen oder Fluch

Internet – Segen oder Fluch

Titel: Internet – Segen oder Fluch Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kathrin Passig , Sascha Lobo
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sind teuer, aufwendig und selbst dann von begrenzter Wirksamkeit, wenn es – wie bei der HIV -Prophylaxe – um ganz konkrete Gefahren geht und das Leben oder die Gesundheit der Bürger auf dem Spiel stehen. Auch eine Verpflichtung der Websitebetreiber, die datensparsamsten Voreinstellungen zu wählen, wäre überwiegend kosmetischer Natur. In vielen Fällen entspringen Datenschutzprobleme nicht aus einzelnen Spezialeinstellungen, sondern aus der bloßen Nutzung des Dienstes. Facebook etwa kann intern auf alle Daten der Teilnehmer zugreifen, egal, ob die Nutzer sie nur dem engsten Familienkreis oder der breiten Öffentlichkeit zugänglich machen.
    Es wäre daher keine Lösung, alle Datenschutzprobleme dem Einzelnen aufzubürden, so argumentieren diejenigen, die Internetnutzer nicht oder zumindest nicht immer für Schafe halten. Stattdessen solle man vielmehr die Behörden, Unternehmen und Arbeitgeber gesetzlich zu einem zurückhaltenderen Umgang mit den einsehbaren Daten verpflichten. Dafür plädieren Anhänger des Post-Privacy-Gedankens wie Christian Heller und die datenschutzkritische Spackeria ( spackeria.org ). Die Gesellschaft müsse mit den Bedingungen der größeren Offenheit und Transparenz umgehen lernen, anstatt nach Mechanismen zu suchen, die die Geheimhaltung wiederherstellen könnten.
    Dass das grundsätzlich möglich ist, zeigen internetferne Beispiele. Anstatt seinen Bürgern und Bürgerinnen die strikte Geheimhaltung ihrer sexuellen Orientierung abzuverlangen, verbietet der Staat Arbeitgebern, jemanden deshalb zu diskriminieren [74] . Und im Zivilprozess darf nur das verwendet werden, was die Parteien vorbringen, auch wenn der Richter es zufällig besser weiß. Solche Strategien lassen sich im Prinzip auch auf die im Netz auffindbaren oder bei Diensteanbietern gespeicherten Daten anwenden. Die Bürger würden dann vor konkreten Beeinträchtigungen ihrer Rechte geschützt anstatt vor den recht abstrakten «Verstößen gegen die informationelle Selbstbestimmung» des Einzelnen. Eine vergleichbare Praxis bei Bewerbungsverfahren in den Vereinigten Staaten zeigt aber zugleich die Problematik dieses Ansatzes: Um die Diskriminierung wegen der Hautfarbe zu unterbinden, dürfen Bewerbungen dort keine Fotos enthalten. Das funktioniert aber nur, wenn der Personalchef der Verlockung widersteht, ein bisschen herumzugoogeln oder auf Facebook nachzusehen. Solche Lösungen erfordern Einsicht und Wohlverhalten, ohne dass beides zu überprüfen wäre.
    Die Position der Spackeria wird jedoch von ihren Kritikern als gefährlich naiv bezeichnet. Offenheit führe eben nicht automatisch zu Toleranz, sondern sei im Gegenteil oft die Voraussetzung für Diskriminierung. Die Abschaffung der Privatsphäre ist eher als utopischer Serviervorschlag und Ausgangspunkt der Diskussion zu betrachten, entgegnet darauf die Post-Privacy-Fraktion. Um dieses Argument als solches wertschätzen zu können, müsste die Gegenseite überhaupt erst einmal bereit sein, das Positive am Zerfasern der Privatsphäre anzuerkennen. Das ist sie allerdings kaum. Bundesdatenschützer Peter Schaar glaubt sogar, dass «
die Privatsphäre des Individuums […] den Kern unserer Demokratie bildet
». Und über Demokratiekerne mag niemand gern verhandeln. So erklärt sich auch der Vorwurf der Naivität, denn dahinter verbirgt sich das Gefühl der Datenschützer, die Postprivatsphäriker hätten vor den digitalen Datenkraken kapituliert und würden sich diese Kapitulation schönreden.
    Die einen glauben also, dass es nicht möglich ist, die Verbreitung von Daten wirksam zu kontrollieren, und dass man deshalb das Beste daraus machen sollte. Deshalb plädieren sie im Sinne einer Flucht nach vorn dafür, die Veröffentlichung von Daten als Standard zu akzeptieren und dort zu regulieren, wo Unternehmen und Staatsorgane diese Daten verarbeiten wollen. Die anderen sind genau umgekehrt überzeugt, dass einmal veröffentlichte Daten nicht mehr kontrollierbar sind und zwangsläufig genutzt werden. Deshalb plädieren sie für die Flucht nach hinten, die Geheimhaltung (oder Garnichtersterhebung) von Daten als Standard und die Regulierung an der Stelle, wo die Leute ihre Daten ins Netz speisen.
     
    Beide Ansätze sind problematisch. Und zwar in erster Linie, weil sie konsequent umgesetzt den jeweils Andersdenkenden ihre Wahlmöglichkeiten nehmen würden. Inkonsequent umgesetzt sind beide Ansätze aber weitgehend untauglich. Das Internet ist ein Netz des Datenaustauschs,

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