Internet – Segen oder Fluch
und das bedeutet, dass bei jeder Interaktion auch die Spielregeln des Gegenübers mitgelten. In der Datenschutzdebatte treffen verschiedene gegenläufige Wünsche und Bedürfnisse aufeinander. Kontakt mit der Welt bedeutet immer Verzicht auf bestimmte Teile der privaten Geheimhaltung. In dem Moment, in dem wir auf irgendeine Weise am Leben der restlichen Welt teilnehmen, erfährt diese Welt auch das eine oder andere über uns.
Wirksame Kontrolle über persönliche Daten setzt eine funktionierende Überwachung sämtlicher Datenflüsse im Netz voraus – das ist nicht für alle eine angenehme Vorstellung. Vielleicht schwinden die Möglichkeiten, sich im Netz und im Alltag anonym zu bewegen. So, wie man sich als Autofahrer schon seit der Einführung des Nummernschilds nicht leicht unerkannt danebenbenehmen kann, wird man dann auch als Fahrradfahrer und Fußgänger jederzeit identifizierbar sein. Manche sehen darin einen Zugewinn an Ordnung und Manierlichkeit im öffentlichen Raum, andere einen Verlust wesentlicher Freiheiten [75] . Nicht selten hegen Menschen auch gleichzeitig unvereinbare Wünsche, zum Beispiel dann, wenn sie sich sowohl die vollständige Kontrolle über die eigenen Daten als auch ein freies, unzensiertes, unüberwachtes Internet wünschen. Kostenlose Weltverbesserung ist auf diesem Gebiet nicht zu haben. Besonders in den sozialen Medien lässt sich die Unvereinbarkeit beobachten: «Ich will, dass mir das Netz hilft, mit anderen in Kontakt zu kommen» und «Ich möchte keinesfalls zu persönliche Informationen preisgeben» gehen paradoxerweise Hand in Hand.
Einerseits möchte man in seinen Kreditkartenbewegungen nicht ausspioniert werden, andererseits soll die Karte im Fall verdächtiger Abbuchungen vom Casino auf den Kaimaninseln sogleich gesperrt sein, oder zumindest möchte man als Besitzer benachrichtigt werden. Es ist schön, auf seinem Webmail-Account wenig Spam zu bekommen, aber dafür muss nun mal ein Spamfilter des Anbieters den Inhalt aller Mails betrachten. Man ist natürlich gegen die Rasterfahndung, will aber vor terroristischen Anschlägen in der eigenen Stadt so gut wie möglich geschützt werden. Der Wunsch nach Sicherheit lässt sich nicht ganz ohne Abstriche beim Datenschutz befriedigen. Dass staatliche Stellen Fingerabdrücke erfassen, dass wir verpflichtet sind, uns jederzeit ausweisen zu können, dass neue Wohnsitze, Kfz-Halterdaten und bestimmte ansteckende Krankheiten den Behörden gemeldet werden müssen, das alles ist unter Datenschutzgesichtspunkten wenig erfreulich, gibt aber auch nur selten Anlass, den Staat zu beschimpfen. Das liegt in diesen Fällen überwiegend daran, dass es Fingerabdruckkarteien und Ausweispflichten schon länger gibt und wir uns an sie gewöhnt haben. Bei jeder Neuerung wie der automatischen Erkennung von Nummernschildern oder der Übermittlung von Fluggastdaten belebt sich die Diskussion.
Eine verwandte Unauflösbarkeit hat mit den in Kapitel 8 angesprochenen Systemen zu tun, mit deren Hilfe Menschen und Unternehmen entscheiden, wem sie vertrauen sollen. Die Schufa gibt es, weil Verkäufer, die Ratenzahlungen anbieten, und Banken, die Kredite ausgeben, gern vorher wissen möchten, wie hoch die Wahrscheinlichkeit ist, dass ein Kunde nicht zurückzahlt. Es gibt viele Angebote im Netz, die hohes gegenseitiges Vertrauen erfordern, wie zum Beispiel couchsurfing.org und airbnb.com . Beides sind Plattformen zur Vermittlung privater Übernachtungsgelegenheiten, bei Couchsurfing basiert das Angebot auf Gegenseitigkeit, bei Airbnb kostet die Unterkunft Geld. Beides hätte vor wenigen Jahren nicht funktioniert – schon weil das Netz noch neu war und allein deshalb als Aufenthaltsort zwielichtiger Gestalten galt, aber auch, weil es kaum Reputationsinformationen enthielt. Beide Plattformen zeigen die Bewertungen früherer Gäste oder Gastgeber an, bei Airbnb lassen sich die Profile auch mit Facebook, Twitter und LinkedIn verknüpfen. Das schafft Vertrauen unter Unbekannten, funktioniert aber nur,
weil
alle Beteiligten eine mittelgroße Menge persönlicher Daten ins Netz gestellt haben.
Die Lage wird sich in absehbarer Zeit nicht beruhigen. Neue Entwicklungen stehen vor der Tür oder sind schon eingetreten und nur noch nicht in den Mainstreamdebatten angekommen. In Schweden diskutiert man die komplette Abschaffung des Bargelds, an einigen Stellen, etwa im Nahverkehr vieler Städte, werden dort schon heute nur noch bargeldlose Zahlungen akzeptiert. Ein
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