Internet – Segen oder Fluch
wenn man bei jedem potenziell Abgebildeten vorher eine Genehmigung einholen müsste. In Deutschland darf man heute zum Beispiel Bilder ohne Erlaubnis veröffentlichen, «auf denen die Personen nur als Beiwerk neben einer Landschaft oder sonstigen Örtlichkeit erscheinen». Genauso, nur ganz anders natürlich, müssen sowohl die Rechtsbegriffe um Privatsphäre und Datenschutz als auch das gesellschaftliche Verständnis davon an die neue Technologie Internet angepasst werden.
Aber wie? Ein Hinweis darauf könnte sich aus den Mängeln vieler bisheriger Haltungen ergeben. Es gehört zu den typischen Schwächen in den meisten Argumentationen, dass sie der jeweils anderen Fraktion wenig Raum zur Entfaltung lassen. Ein Ansatz könnte also darauf abzielen, möglichst jeder Person die Wahl zu lassen, ob sie sich datensparsam und ultraprivat im Internet bewegen möchte – oder postprivatsphärisch und datenschleudernd durch die Netze toben. Akzeptabel für die Anhänger beider Haltungen wäre zum Beispiel mehr Transparenz, was mit persönlichen Daten auf den verschiedenen Plattformen geschieht. Selbst wenn die Postprivatisten darin letztlich Datenschutztheater sehen mögen, also ein wirkungsloses Spektakel für eine bloß gefühlte Sicherheit.
Von einer solchen Annäherung an die selbstbestimmte Zukunft des Datenschutzes würden mittelfristig auch diejenigen profitieren, die von Datennutzung und Datenhandel im weiteren Sinn leben – von Social Networks bis zur Werbeindustrie. Der ehemalige Wirtschaftsminister Michael Glos ( CSU ) kann nicht gerade als wirtschaftsfeindlich gelten, und doch sagte er im August 2008 einem schmuddeligen Boulevardmisthaufen im Interview:
«Wenn wir die Verbraucher anders vor kriminellen Machenschaften nicht schützen können, müssen wir überlegen, ob wir den Handel mit persönlichen Daten generell verbieten.»
Eine sinnvolle Regelung dürfte das beste Mittel gegen solche Verbotspläne sein. Und wenn Facebook, wie im Juli 2012 bekannt geworden, die privaten Chats seiner Nutzer automatisch und teilweise sogar von Mitarbeitern analysieren lässt, um eventuellen Straftaten auf die Schliche zu kommen, sind irgendwann sowohl die Geduld wie auch der Differenzierungswille und die Diskussionsbereitschaft der Nutzer erschöpft.
Die Debatte um Privatsphäre und Datenschutz hat trotz der skizzierten Annäherungsmöglichkeiten keine Lösung. Das liegt nur zum Teil am Fortschritt, der immer neue Herausforderungen und Diskussionsebenen mit sich bringt. Es liegt vor allem daran, dass es sich um ein ausgesprochen persönliches Thema auf gesellschaftlicher Ebene handelt: zu einer Privatsphäre gehört einer, der sie hat, und
alle
anderen, die sie respektieren. Die Gesellschaft ist man eben nicht allein.
Die Diskussion hat aber auch einen durchaus erfreulichen Aspekt: Die zugehörigen Fronten verlaufen endlich mal nicht entlang klassischer Linien wie konservativ/progressiv, sachkundig/netzfern, offline/online – und trotzdem können sich die Teilnehmer erbittert die Köpfe ihrer Avatare einschlagen, ein wenig beruhigend, beinahe. Wer also noch eine Garantie haben wollte dafür, dass die Probleme zwischen Internet und Gesellschaft nicht mit dem letzten Offliner aussterben – hier ist sie.
Nicht so gute Argumente
«Man MUSS Facebook ja nicht nutzen.»
Theoretisch nicht, in der Praxis aber kann man sich aus sozialen Gründen manchen Dingen nur unter hohen Kosten entziehen. Natürlich ist es möglich, sich dem Modediktat zu verweigern, indem man seine Kleider aus Kokosfasern selbst klöppelt, aber man handelt sich damit andere Nachteile ein. Wenn die Freunde den Termin für das wöchentliche Synchronschwimmen auf einmal nur noch per Facebook bekanntgeben, schwindet die Alternative der Verweigerung. Außerdem nutzt es mittlerweile auch nicht mehr viel, Facebook ganz zu meiden oder nur das Allernotwendigste von sich preiszugeben: Freunde laden Fotos hoch und schreiben dazu, wer darauf zu sehen ist; und in einem Studentenprojekt am MIT gelang es 2009 , schwule Facebooknutzer durch den höheren Anteil offen schwuler Männer in ihrem Freundesnetzwerk zu identifizieren. Das Argument ist allerdings insofern richtig, als es immer noch leichter ist, sich Facebook zu entziehen als dem Staat. Die Wahrscheinlichkeit, dass Facebook in einigen Jahren durch einen anderen Anbieter abgelöst wird und an Bedeutung verliert, ist auch höher als die, dass dasselbe mit dem Staat geschieht.
«Wenn der Dienst
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