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Internet – Segen oder Fluch

Internet – Segen oder Fluch

Titel: Internet – Segen oder Fluch Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kathrin Passig , Sascha Lobo
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kostenfrei ist, dann bist du als Nutzer kein Kunde, sondern das Produkt.»
    Dieses in letzter Zeit vielstrapazierte Zitat stammt ursprünglich aus den achtziger Jahren und bezog sich auf das werbefinanzierte Fernsehen. Eine eindeutige Quelle scheint es nicht zu geben, vielleicht ist die Aussage also noch viel älter und diente schon vor 600  Millionen Jahren unter Grünalgen zur Warnung vor der nur scheinbar kostenlosen Symbiose mit Pilzen. Von vorn kommt das Argument ganz attraktiv daher, aber das hintere Ende des Satzes darf man nicht allzu genau betrachten. Facebook funktioniert nur, weil sowohl das Unternehmen als auch die Nutzer bestimmte Beiträge leisten. Es handelt sich um einen gegenseitigen Tausch, und das Tauschprodukt der Nutzer ist eindeutig ihre Aufmerksamkeit. Die noch dazu weitgehend freiwillig eingesetzt werden kann. Ein geringfügig treffenderes Bild wäre der Nutzer als Kuh, die dem Bauern ihre Aufmerksamkeitsmilch gratis hinschenkt, wenn sie bloß mit den anderen Kuhfreunden auf der Weide – aber ach, Sprachbilder sind Quark, siehe Kapitel «Metaphern».
     
    «Das Ende der Privatsphäre ist nah!»
    Obwohl, wie oben beschrieben, der Sun-Chef Scott McNealy 1999 mit einer vergleichbaren Äußerung ordentlich Presse bekam, empfiehlt sich die Verwendung außerhalb von alarmistischen PR -Stunts nicht. Präziser gefasst müsste das Argument nämlich lauten «Das Ende meines Verständnisses von Privatsphäre scheint nah!», was im direkten Kontrast eine Spur weniger spektakulär erscheint. Vom ursprünglichen Argument bleibt daher nur übrig, was ohnehin die Mutter aller Beschwerden darstellt: «Ich bin unzufrieden mit der Gesamtsituation.» Das aber kann nur der Ausgangspunkt einer Debatte sein und kein Argument.

[zur Inhaltsübersicht]
    13. Entfremdung und Nähe
    Soziales
    Einen neuen Neffen zufällig 8  Monate nach der Geburt auf facebook entdeckt; die neue Nichte wurde dann heute ordnungsgemäß getwittert.
    Charlie Romeo/@mindthekind, Twitter, 11 . Januar 2010
    Ein simples, geborgtes [77] Gedankenexperiment: Was wäre, wenn zuerst das vernetzte Computerspiel erfunden worden wäre und dann, viel, viel später, das Buch? Eltern würden beisammenstehen und sich sorgen: ‹Oh Gott, mein Carl, früher hat er begeistert mit Freunden gespielt, gekichert haben sie und sich ausgetauscht. Und heute sitzt Carl allein in seinem Zimmer, redet mit niemandem, ganz still muss es sein, sonst ist er außer sich, und schaut in dieses komische Buch.› Man könnte den Eltern in dieser Parallelwelt kaum verübeln, wenn sie überzeugt wären, dass die neumodischen Bücher schädlich für die soziale Entwicklung seien, und ihren Kindern die Buchbenutzung stark einschränken oder gleich verbieten würden. Kind, spiel doch mal wieder ein gutes Farmville mit deinen Freunden!
    Als Papst Benedikt XVI . 2011 erklärte, das Internet sei zwar wichtig, mache aber einsam, wurde er im Internet von Hunderttausenden verspottet. Die mutmaßlich allein vor ihren Rechnern saßen, aber nicht alle einsam waren: Immerhin gibt es zum ersten Mal in der Geschichte des Soziallebens eine überprüfbare Antwort auf die Frage, wie viele Freunde man hat. Sofern man die durchschnittliche Zahl der Facebook-Kontakte für maßgeblich hält, sind es 130 . «Um private Kontakte und Freundschaften zu pflegen» ist für über neunzig Prozent der Nutzer [78] der wichtigste Grund für die Aktivität in sozialen Netzwerken. Umgedreht ist der Hauptgrund für die Nicht-Nutzung sozialer Netzwerke die Angabe, dass «persönlicher Kontakt bevorzugt» sei, wie das Sinus-Institut 2011 herausfand.
    Das Schlagwort
Social Media
, oft wörtlich übersetzt mit Soziale Medien, trägt sein Versprechen praktischerweise gleich im Namen. Unumstritten ist, dass das Internet und Social Media tatsächlich irgendwie sozial, also auf die Beziehungen zwischen Menschen wirkt. Aber wie? Die Diskussion darum begann mit der Erfindung des massenkompatiblen Internets und hat sich seitdem überraschend wenig weiterentwickelt. Die Vorwürfe der Kritiker bestehen seit Mitte der neunziger Jahre beinahe unverändert, mit der Verbreitung von Facebook und des Smartphones mussten lediglich ein paar Sorgengebäude an den großen Bedenklichkeitskomplex angebaut werden. Auf der anderen Seite stehen in der Regel Leute, die die sozialen Möglichkeiten des Internets selbst nutzen und deshalb vielleicht nicht die objektivsten Richter sein mögen. Auch ihre Gegenargumente haben sich nur

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