Internet – Segen oder Fluch
afrikanische Katzenbaby, das man im Netz per Klickspende zu retten glaubt, dient ja vielleicht nur der Selbstvergewisserung, dass man ein guter Mensch sei – der rein zufällig über die gute Tat ein Facebookposting verfasst. Damit ist das Innerste der Diskussionszwiebel erreicht. Dieses Problem ist ein philosophisches, die Beziehung zwischen einer Person und der Welt drum herum gehört von jeher zu den zentralen Fragen der Weisheitslehre. Aber selbst wenn wir im negativsten Fall annehmen, dass gar nicht zu unterscheiden ist, ob im Netz echte Empathie wirkt oder nur aus narzisstischen Gründen vorgetäuschte Empathie: Das gilt außerhalb genauso. Wenn das Netz schlecht und unsozial sein soll, ist es die Welt auch.
Oberflächlichkeit vs. Unterflächlichkeit
Spötter könnten einwenden, dass es das Wort Unterflächlichkeit gar nicht gebe. Stellen wir diese Frage einmal hintenan. Was es auf jeden Fall gibt, ist die Diskussion um die Qualität der digitalen, sozialen Interaktion. Das Internet ist oberflächlich, sagen die einen. Echte Nähe und tiefe Verbundenheit im Netz sind möglich, sagen die anderen. Zumindest hat der Wunsch nach einem sozialen Austausch via Internet schon zu einer Haltungsänderung geführt. Es herrscht eine regelrechte Datenbegeisterung, und die Art und Menge der von Nutzern ins Netz gestellten Daten scheint kaum begrenzt. Amazon schlägt nach jedem Einkauf vor, das erstandene Produkt auf Facebook zu posten. WLAN -Waagen, Bluetooth-Jogging-Schuhe und fast sämtliche Spiele-Apps senden Gebrauchsdaten selbsttätig ins Internet. Das im Netz veröffentlichte Foto des Mittagessens, das 2010 noch als Scherz taugte, ist 2012 bereits spottresistente Normalität geworden.
Die Frage nach dem Grund für diese Datenbegeisterung stellen sich erstaunlich wenige Menschen selbst. Fragt man aber nach, lässt sich die Antwort ausmachen: Neben Gründen der Praktikabilität (Jogging-Routen und Kalorienverbrauch aufzeichnen) geht es vor allem darum, im Netz ein möglichst passendes Selbstbild zu zeichnen. Es scheint, als müsse man nur genügend Daten veröffentlichen, um irgendwann nicht mehr nur ein blasses, oberflächliches Nutzerprofil zu sein, sondern als digitales Abbild der eigenen Persönlichkeit im Netz zu leben. Der Blogger Felix Schwenzel sprach von seinem eigenen Blog als «längster Kontaktanzeige der Welt», immerhin hat er seine Frau auf diese Weise kennengelernt. Diese digitale Dauerdokumentation des Lebens wirkt sich nicht nur auf die Entwicklung der Privatsphäre aus, sie führt auch dazu, dass Selbstdarstellung keine Angelegenheit ist, die man ausschließlich selbst erledigt. In jeder Gesellschaft ist der Mensch immer auch das, was andere ihm zuschreiben. So weit, so alt. Das Neue ist, dass im Netz diese Zuschreibungen für völlig Unbeteiligte sichtbar werden. Euripides wird die älteste Variante des Spruchs zugeschrieben «Sage mir, mit wem du gehst, und ich sage dir, wer du bist». Die sozialen Medien machen daraus «Benutze Facebook – und ich kann mir denken, wer du bist», wie ein ständiges, soziales Führungszeugnis, das unsichtbar über jedem schwebt.
So könnte es jedenfalls sein – wenn die Informationen in den sozialen Medien denn tatsächlich Aussagekraft über die Persönlichkeit haben. Finden sich im Netzprofil nur belanglose Oberflächlichkeiten, oder kann man wirklich den Charakter, das Wesen eines Menschen darin erkennen? In diesem Unterschied liegt zugleich eine Antwort darauf, ob das Netz dazu verdammt ist, oberflächlich, zu bleiben, oder ob dort echter Austausch stattfinden kann.
Erste Erkenntnisse dazu lassen sich dort gewinnen, wo die verlässliche Einschätzung einer Person Geld wert ist, im Personalwesen. Zu den meistreproduzierten Narrativen der Internetdiskussion gehört die Warnung vor wilden Partyfotos, die einen späteren Personalchef von der Einstellung abschrecken. US -Medien berichten seit Ende 2011 davon, dass einige Unternehmen von Bewerbern deren Facebook-Zugangsdaten fordern. Diese ethisch frag- und klagwürdige Praxis möchte Facebook selbst ebenso untersagen wie einige US -Bundesstaaten. Die Annahme aber, dass man Facebook-Profilen relevante Informationen über die Persönlichkeit ihrer Inhaber entnehmen kann, wurde im Februar 2012 wissenschaftlich untermauert. Donald Kluemper, Professor für Arbeitsorganisation und Management an der Northern Illinois University, stellte eine Studie vor, in der er der arbeitspsychologischen Verwertbarkeit von Profilen
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