Internet – Segen oder Fluch
in sozialen Netzwerken nachging. Er ließ ein Team von fünf Psychologen die Facebook-Profile von Berufseinsteigern auf ihre Eignung für ihren soeben begonnenen Job analysieren. Es handelte sich dabei um Bewerber, die zuvor bei ihren zukünftigen Arbeitgebern die standardisierten Eignungstests absolviert hatten. Nach sechs Monaten erfragte Kluemper bei den jeweiligen Personalchefs die tatsächlichen Leistungen der Probanden. Die Einschätzungen anhand der Facebook-Profile erwiesen sich als signifikant treffsicherer als die standardisierten Tests. Allerdings hatten die Bewertungen weniger mit Partyfotos zu tun als mit generellen Persönlichkeitsmerkmalen, den sogenannten «Big Five» der Psychologie: Neurotizismus, Extraversion, Offenheit für Erfahrungen, soziale Verträglichkeit und Gewissenhaftigkeit. Anhand dieser fünf Eigenschaften lassen sich Charakter und soziale Fähigkeiten einer Person einschätzen und damit offenbar auch die Performance im Job. Wenn aber ein simples, gar nicht darauf zugeschnittenes Facebook-Profil mehr über die berufliche Eignung einer Person sagt als seit vierzig Jahren von Fachleuten für diesen Zweck entwickelte Tests – dann heißt das auch, dass soziale Netzwerke eine ungeahnte Tiefe bergen. Vor diesem Hintergrund scheinen fröhliche Partyfotos das ungleich geringere Problem zu sein als zum Beispiel die Mitgliedschaft in zweifelhaften Facebook-Gruppen wie « Prokrastination.com », einer weitgehend inaktiven Seite, die das Aufschiebeverhalten als nützlich feiert.
Das Personalchef-Partyfoto-Prinzip könnte sich aber auch mittelfristig umdrehen: Die Bewertung der Profile in sozialen Netzwerken könnte zu einem Nachteil für die Unternehmen werden. Die Entwicklung auf dem Arbeitsmarkt zeigt, dass gerade die besten Absolventen, um die sich alle Unternehmen rangeln, ihrerseits die Auswahlkriterien nicht mehr nur nach Karrierechancen anlegen. Wer es sich aussuchen kann, wird vermutlich nicht bei einem Unternehmen arbeiten wollen, das vor der Einstellung die Mülleimer der Bewerber durchwühlt, nur weil es nicht direkt verboten ist. Und ab und zu werden ja sogar Gesetze eingeführt, die regeln, was Unternehmen so tun dürfen mit ihren Bewerbern. Der Journalist und Lektor Michael Brake äußert die These, dass es in fünf bis zehn Jahren egal sein wird, ob jemand Partyfotos ins Netz gestellt habe, weil Personalchefs dann begriffen hätten, dass es normal sei und sogar von einem gesunden Charakter zeuge, wenn Menschen in der Freizeit mal die Sau rausließen. Brake glaubt sogar, dass die Leute ohne Partybilder irgendwann schief beäugt würden, weil sie offensichtlich karrieregeile Sonderlinge seien, die dem Sozialklima eines Unternehmens schadeten. Es erscheint eher unwahrscheinlich, dass er diese Prognose an einem leibhaftigen deutschen Durchschnittspersonalchef abgeglichen hat. Aber die Hoffnung, dass die ständige Selbstdokumentation im Netz irgendwann übliche, aber schambelegte Sozialpraktiken wie etwa das Betrunkensein entkrampft, ist durchaus berechtigt.
Dass die Profile in sozialen Netzwerken die Einschätzung einer Person erlauben, ist nach Kluempers Arbeit belegbar. Eine Studie des Psychologieprofessors Samuel D. Gosling an der University of Texas in Austin ergab 2011 , dass das wahrscheinlich auch für die Persönlichkeit ganz allgemein gilt und Profile und Aktivitäten in sozialen Netzwerken den tatsächlichen Charakter spiegeln. Das untermauert eine verbreitete Überzeugung: die, dass man schon an wenigen Äußerungen und Fotos in einem sozialen Netzwerk erkennen könne, wen man vor sich hat. Und ob sich ein Kennenlernen lohnt. Diese Art von sozialer Vorfilterung, die besonders in Partnerbörsen wie Friendscout 24 .de , Parship.de oder Twitter.com betrieben wird, ist ein typischer Vorgang in den sozialen Medien. Anhand des Profilfotos und von anderthalb Sätzen persönlicher Vorstellung wird ein potenzieller Partner in Kürze aussortiert, das halbe Dutzend mühsam ins Profil copygepasteter Rilke-Gedichte weiter unten gerät nicht einmal ins Blickfeld. Es ist schwer, in diesem sozialen Schnellgericht ohne jede Berufungsmöglichkeit
keine
Oberflächlichkeit zu sehen. Es handelt sich aber um eine notwendige Reaktion auf die große Zahl loser Bekanntschaften, die nicht nur in Partnerbörsen, sondern im gesamten sozialen Netz beinahe von allein entstehen. Wo früher eine der wesentlichen sozialen Herausforderungen im Finden passender Freunde bestand, wird jetzt eher die
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