Internet – Segen oder Fluch
in ein paar Jahren belegen kann, dass weniger Kontakte in sozialen Netzwerken automatisch auch intensivere Verbindungen bedeuten, ist man bei der Oberflächlichkeitsforschung auf andere Herangehensweisen angewiesen. Eine besondere emotionale Facette der Oberflächlichkeit, die Abstumpfung, wurde schon 2009 intensiver untersucht. Antonio Damaso von der University of Southern California fand heraus, dass die technischen Bedingungen der sozialen Medien manche Empfindungen bevorzugen und andere benachteiligen. Unterschiedliche Gefühle werden nämlich unterschiedlich schnell ausgelöst und verarbeitet. Damasos Studie ergab, dass Anzeichen von Schmerzen recht schnell verstanden werden können, Mitgefühl und Bewunderung dagegen brauchen bedeutend länger, um aufgebaut und verarbeitet zu werden, bis zu zehn Sekunden. Wenn zu viele Informationen auf das Hirn einprasseln, kann es darin versagen, anständiges Mitgefühl aufkommen zu lassen. Die Forscher betonen zwar, dass die hohe Informationsgeschwindigkeit des Fernsehens ebenso problematisch sei. Aber irgendwie sind einem die Leute im Facebook ja doch persönlich näher als die im Fernsehen, sie sollten es zumindest sein.
Die nähere Erforschung der sozialen Wirkung des Internets hat gerade erst begonnen. Die sozialen Medien haben erst seit wenigen Jahren – etwa seit 2007 in den Vereinigten Staaten und seit 2009 in Deutschland – relevante Größenordnungen erreicht. Die Datenlage wird sich allerdings in den nächsten Jahren erheblich ändern, und das nicht nur, was die Wirkung des Internets selbst angeht. Geoffrey Miller, Psychologe an der University of New Mexico, sieht vor allem in der mobilen Technologie riesiges Potenzial für die Sozialforschung. In der Zeitschrift
Perspectives of Psychological Science
veröffentlichte er im Frühling 2012 «Das Manifest der Smartphone-Psychologie». Miller postuliert darin, dass mit Hilfe von Mobiltelefonen und speziellen Psychologieforschungs-Apps sein Fach größere Fortschritte machen könne als durch den PC oder medizinische Verfahren zur Aufzeichnung der Hirnaktivität. Das menschliche Verhalten lässt sich schließlich am besten dort erforschen, wo es passiert, und am besten dann, wenn es gerade passiert. Da Millers Vision – neben mobilen Umfragen und Experimenten – vorsieht, dass die Mobiltelefone aufzeichnen, wo sich die Teilnehmer aufhalten und was sie dort sehen und hören, wird man auf diese Art voraussichtlich nur die Menschheitsuntergruppe der datenschutzverächtlichen Post-Privacy-Anhänger präzise erforschen können. Aber das wäre ja auch schon mal was.
Zukunftsszenarien
Flexibilisierung oder Reform des bestehenden Urheberrechts
Eintrittswahrscheinlichkeit: Fünfunddreißig Prozent, heute jedoch nicht
Das Urheberrecht ist nicht vom Himmel gefallen, es ist ein gewachsenes und noch relativ junges Recht. Es ist nicht grundsätzlich frevelhaft, über Anpassungen an neue Bedingungen zu sprechen. Wie diese Anpassungen genau aussehen könnten, dazu sind in den letzten Jahren viele Vorschläge gemacht worden. Das Urheberrecht könnte von «Opt-out» zu «Opt-in» geändert werden: Wer seine Werke geschützt sehen und mit ihnen Geld verdienen will, registriert sie, alles andere ist gemeinfrei. Die Schutzfristen könnten verkürzt und die Fair-Use-Regelungen des amerikanischen Rechts auch in Deutschland eingeführt werden. Man könnte Urheberrechte wie in der Softwarebranche an eine Schöpfungshöhe koppeln, die der Anspruchsinhaber beweisen muss. Anfang 2012 war zu lesen, dass man in den Niederlanden über eine Flexibilisierung des Urheberrechts durch eine Ausdehnung seiner Ausnahme- und Schrankenregelungen nachdenke. Anlass war eine vage Erklärung des niederländischen Justizstaatssekretärs Fred Teeven. Allerdings können die Niederlande genau wie Deutschland ihr Urheberrecht nur im Rahmen der geltenden internationalen und EU -Bestimmungen ändern. Und das internationale Recht lässt nicht viel Spielraum für nutzerfreundliche Reformen, das hat die verdammte Contentmaf- äh, Verzeihung.
«Kulturflatrate» und andere pauschale Abrechnungssysteme
Eintrittswahrscheinlichkeit: Umso geringer, je gemahafter die benötigten Strukturen
Jeder, der Zugang zum Internet hat, zahlt monatlich eine bestimmte Summe und darf dafür urheberrechtlich geschützte Werke vervielfältigen und weitergeben, also zum Beispiel Tauschbörsen benutzen. Pauschale Vergütungssysteme gibt es bereits: die GEZ -Gebühren, von denen der
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