Internet – Segen oder Fluch
Richtung wurde Mitte der neunziger Jahre von Rechtswissenschaftlern am Max-Planck-Institut für Immaterialgüter- und Wettbewerbsrecht [93] unternommen. Sie entwarfen ein neues Urhebervertragsrecht, das den Urhebern mehr Rechte einräumen sollte. Journalisten etwa bekämen nicht nur ein Zeilengeld (dessen Mindesthöhe das Gesetz festlegen sollte), sondern auch einen Anteil der Umsätze im Onlinebereich; Übersetzer müssten am Erfolg beteiligt werden. Anfang der nuller Jahre stand der Entwurf kurz davor, in Gesetzesform gegossen zu werden, aber Zeitschriften- und Buchverlage, ARD und ZDF protestierten erfolgreich und aus nicht einmal vollkommen abwegigen Gründen dagegen [94] . Was dann schließlich zum neuen § 32 UrhG wurde, war eine abgeschwächte Version, die auf eine freiwillige Einigung zwischen Urhebern und Verwertern setzt und in der Praxis weitgehend folgenlos geblieben ist.
Nach wie vor üblich sind Total-Buy-out-Verträge, bei denen Urheber gegen eine Einmalzahlung auf alle Einnahmen aus Zweitverwertungen und anderen, auch noch gar nicht erfundenen Nutzungsformen verzichten. Ihre Beliebtheit ist nachvollziehbar, denn ein Verwerter möchte ebenso wenig wie ein Privatnutzer vor jeder Verwendung eines einmal beschafften Bildes oder Textes wieder bei dessen Urheber nachfragen, was für beide Seiten zeitraubend ist und viele mögliche Verwendungen unrentabel macht.
Buy-out-Klauseln der Auftraggeber sind nicht grundsätzlich Teufelswerk. In der Softwarebranche etwa sind sie üblich und allgemein akzeptiert. Das Problem im Textbereich ist, dass die Urheber hier nicht nach Arbeitszeit, sondern für ein Ergebnis bezahlt werden und so knapp kalkulierte Honorare erhalten, dass ihnen schwer zu vermitteln ist, warum sie darüber hinaus weitere Zugeständnisse an die Verwerter machen sollen. Dahinter stecken zwei Umstände: Urheber sind Einzelpersonen und sitzen daher verhandlungstechnisch gegenüber Verwertungsfirmen an einem der kürzesten Hebel der Welt. Und den müssen sie sich auch noch teilen, denn es gibt sehr viele Urheber. Weil Urheberberufe trotz allem beliebt sind, sehen sich Verlage und Redaktionen einem großen Angebot von Autoren, Journalisten oder Fotografen gegenüber, die sie vor die Alternative «nehmt unsere Vertragsbedingungen an oder ROFL copter GTFO [22] » stellen können.
Also müsste der Gesetzgeber alle Verwerter verbindlich zu bestimmten Honoraren verpflichten. Viele Verwerter, darunter beispielsweise fast alle Buchverlage, kalkulieren selbst sehr knapp und können es sich schlicht nicht leisten, Autoren ein Mindesthonorar zu garantieren. Der Autor trägt das Risiko, dass seine ins Buch investierte Arbeitszeit umsonst war, aber der Verlag muss darüber hinaus Geld ausgeben, das er in vielen Fällen nicht zurückbekommt. Einige Verwerter würden in der Lage sein, die Zusatzkosten eines Mindesthonorars zu tragen, für viele andere – also vor allem kleine Verlage, Indie-Labels und so weiter – würde es bedeuten, dass bestimmte Geschäftsmodelle und Veröffentlichungen nicht mehr möglich sind. Ob man es für richtig oder falsch hält, Autoren, Übersetzern oder Verlegern die freiwillige Selbstausbeutung zu ermöglichen, und wie stark man sich in die Vertragsfreiheit einmischen möchte, hängt vom politischen Glaubensbekenntnis ab.
Abschaffung des Urheberrechts
Eintrittswahrscheinlichkeit: Null wäre geschmeichelt
Der Piratenpartei unterstellt man häufig, sie wolle das Urheberrecht abschaffen. Das stimmt zwar nicht, die Piraten wollen es lediglich reformieren. Anderswo wird diese Position aber durchaus vertreten, in Deutschland zum Beispiel von Michael «@mspro» Seemann, international beispielsweise von den US -Ökonomen Michele Boldrin und David K. Levine sowie den niederländischen Politikwissenschaftlern Joost Smiers und Marijke van Schijndel. Ihre Argumente sind lesenswert, aber der Platz in diesem Buch ist begrenzt und die Komplettabschaffung des Urheberrechts so unwahrscheinlich, dass vorher die Hölle zufrieren wird und das Universalnetzteil für alle Geräte auf den Markt kommt [23] . Wir bitten Sie daher, die Details selbst in Boldrins und Levines «Against Intellectual Monopoly» [95] und Smiers’ oder in van Schijndels Streitschrift «No Copyright. Vom Machtkampf der Kulturkonzerne um das Urheberrecht» nachzulesen. Auch der englischsprachige Wikipedia-Eintrag «Anti-copyright» bietet einen guten Überblick über die Argumente der Urheberrechtsgegner. Dass das
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