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Interview mit dem Tod - Domian, J: Interview mit dem Tod

Interview mit dem Tod - Domian, J: Interview mit dem Tod

Titel: Interview mit dem Tod - Domian, J: Interview mit dem Tod Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jürgen Domian
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Schlüsse auf mich selbst. Ich lasse dich nur teilhaben an meinem Wissen.
    Kurze Gesprächspause
    Bist du so alt wie die Erde?

    Das Alter der Erde ist nur ein Wimpernschlag im kosmischen Geschehen.
    Deine Zuständigkeit ist also nicht auf die Erde beschränkt?
    Keineswegs. Dann hätte ich wenig zu tun.
    Folglich gibt es weiteres Leben im Weltall?
    Milliardenfach.
    Auch solches, das wir als intelligent bezeichnen würden?
    Natürlich. Ihr Menschen solltet euch nicht so wichtig nehmen.
    Ja, du hast Recht. Schon jeder Einzelne nimmt sich so schrecklich wichtig. Warum ist das so?
    Die Menschen sind eitel und verblendet und haben so große Angst vor der Vergänglichkeit. Je mehr sie meinen, ihr Ich aufzuwerten, desto größer die Illusion für sie, mir etwas entgegensetzen zu können.
    Kann man dir überhaupt etwas entgegensetzen?

    Gar nichts. Weder Reichtum noch Ruhm, weder Werke noch Hinterlassenschaften.
    Aber jeder wünscht sich doch, nicht vergessen zu werden.
    Ein unsinniger Wunsch. Alles Irdische wird von der Ewigkeit fortgeweht.
    Alles? Auch die ganz großen geistigen und künstlerischen Leistungen der Menschheit?
    Ja. Endet das Universum, so bleibt nichts.
    Kurze Gesprächspause
    Was war vor Beginn des Universums?
    Du greifst immer wieder nach den Sternen. Akzeptiere, dass du an die großen Fragen nicht mit deinem kleinen Verstand herangehen kannst. So wirst du immer scheitern. Das Universum und die Welten folgen einer Sinnhaftigkeit, für die es weder Sprache, Formeln noch Zahlen gibt. Verdeutliche dir deine Beschränktheit allein dadurch, dass du dir nicht einmal eine grundlegend andere Farbe neben den dir bekannten Spektralfarben vorstellen kannst.
    Gibt es denn andere Farben?
    Natürlich.
    Auch mehrere Welten?
    Ja.
    Gesprächspause
    Um zu verstehen, musst du lernen, deine Ratio zu verlassen.
    Wie lernt man das?
    Versuche, dich der Worte zu entledigen, entleere deine Gedanken.
    Aber was bleibt dann?
    Die Leerheit. Wenn du es schaffst, nichts mehr zu denken, bist du auf dem richtigen Weg. Und der Weg heißt: Überwindung des Ich-Bewusstseins. Nur so wirst du in das Nichts schauen können.
    In das Nichts? Also in die absolute Wirklichkeit?
    Ja.
    Längere Gesprächspause
    Ich möchte auf die Frage nach dem richtigen Leben noch einmal zurückkommen. Ist es sinnvoll, sich Ziele zu setzen?
    Ach, Ziele. Ziele sind nichts weiter als Traumbilder, sie liegen in der Zukunft.
    Was heißt das? Soll ich nichts tun und mich auf meiner faulen Haut ausruhen?
    Es gibt nichts zu erreichen, mein Freund, aber viel zu erkennen. Wer faul und träge ist, erkennt gar nichts.
    Aber was soll ich denn erkennen?
    Dass nichts voneinander getrennt ist, dass es keine Gegensätze gibt – und dass du, so wie du dich bisher begriffen hast, ohne jegliche Bedeutung bist.
    Keine besonders schöne Erkenntnis.
    Aber eine notwendige. Denn nur so findest du zur Weisheit.
    Weisheit? So einen hohen Anspruch habe ich gar nicht.
    Solltest du aber. Denn nur die Weisen können selbstlos lieben.
    Ist das erstrebenswert?
    Ja, es ist der Schlüssel zum Glück.
    Gesprächspause
    Ich habe das Gefühl, je länger wir uns unterhalten, desto komplizierter wird es.
    Was hast du von einem Gespräch mit mir erwartet? Einen Plausch über die letzte Oscar-Verleihung?
    Nein natürlich nicht. Obwohl ... vielleicht könntest du mir die nächsten Sterbedaten einiger Hollywoodstars verraten.
    Ich halte es für angebrachter, jetzt eine Pause zu machen.

5
    Irgendwann begann ich damit, die Toten zu besuchen. Ich durchstreifte die größten Friedhöfe meiner Stadt und wusste zunächst nicht so recht, warum. Ich hatte mich für diese Spaziergänge nicht bewusst entschieden, es passierte einfach so. Die Orte des Gedenkens an die Verstorbenen zogen mich magisch an.
     
    Anfangs überkam mich noch ein gewisses Schaudern, wenn ich entlang der mir endlos erscheinenden Gräberreihen ging, aber schon bald war ich abgelenkt von den verschiedenen Grabinschriften. Sie weckten mein Interesse und lösten die unterschiedlichsten Assoziationen aus. Auf manchen Steinen hatten die Hinterbliebenen ihre Verzweiflung und ihre grenzenlose Traurigkeit zum Ausdruck gebracht. Andere trugen Sprüche des Trostes und der Zuversicht. Auf vielen stand lediglich die letzte kleine irdische Notiz über einen Menschen: Name, Geburtsdatum, Sterbedatum. Und schon in ein paar Jahren oder Jahrzehnten würden auch diese Erinnerungen verschwunden sein. Alte Grabsteine werden geschreddert und zu Straßenbelag

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