Interview mit dem Tod - Domian, J: Interview mit dem Tod
gebraucht. Was verstehst du denn darunter?
Die Seele ist mein unsterbliches Ich.
Es gibt kein unsterbliches Ich.
Kurze Gesprächspause
Also gibt es keine Seele?
Das Wort Seele ist ebenso verwirrend wie das Wort Gott. Allzu viele Vorstellungen, Annahmen und Behauptungen gibt es über die Seele. Lassen wir also diesen Begriff. Wir brauchen ihn nicht. Er führt nur in die Irre.
Aber du hast doch während unseres Gespräches Andeutungen gemacht, dass es im Menschen, also auch in mir, etwas Unsterbliches gebe.
Ja, aber das hat mit dir nichts mehr zu tun.
Warum nicht?
Weil ich all das, was du durch deine Geburt bist, am Ende deiner Zeit zerstören werde.
Kurze Gesprächspause
Also gibt es meinen verstorbenen Anrufer Hubert, nach dem ich dich zu Beginn unseres Gespräches gefragt habe, nicht mehr?
Nein ... es gibt niemanden mehr, nirgendwo, der einst als Mensch lebte.
Gesprächspause
Auch nicht meinen ...
Nein.
Gesprächspause
Die Traurigkeit machte mich stumm.
Es ist richtig, dass sie alle nicht mehr sind.
Schweig!
Ich rang um Fassung. Nach ein paar Augenblicken aber hatte ich mich wieder gefangen.
Erzähle weiter! Was bleibt, nachdem du so viel zerstört hast?
Alles, was von Bedeutung ist.
Wie soll ich das verstehen?
Das, was du Ich nennst und als deine Identität ansiehst, ist nur eine Hülle, eine äußere Form.
Sie zerfällt durch den Tod. Die Ursubstanz, dein Urgrund, aber bleibt, weil er eins ist mit allem. Er ist unsterblich und ewig.
Ich kam damit schon zur Welt?
Ja. Und je tiefer du zu Lebzeiten in dir selbst hinabsteigst, desto näher kommst du dem Unsterblichen.
Das würde ja bedeuten, dass ich als Mensch im Irdischen, also in der Zeit lebe – und gleichzeitig auch in der Ewigkeit.
Ja, die meisten Menschen jedoch wissen das nicht, sie lassen sich von ihrem Ich verführen und von der Welt blenden.
Es gibt also keine Seele, so wie ich sie mir bisher vorgestellt habe, aber es gibt ein Leben nach dem Tod?
Genauso, wie es ein Leben vor dem Leben gibt.
Trifft das auf mich auch zu?
Ja, alles, was du zutiefst bist, kennt weder Tod noch Geburt.
Es fällt mir so schwer, das zu verstehen. Wenn die irdische Identität von mir abgefallen ist und es sie vor meinem Leben nicht gegeben hat, welche Identität bleibt denn dann, damit ich überhaupt noch von »mir« sprechen kann?
Keine. Oder vielleicht auch Millionen von Identitäten.
Mit dieser Antwort kann ich nichts anfangen.
Begreife dich als Welle in einem unendlichen Meer. Die Identität der Welle ist gleichgültig. Es geht nur um die Identität des Meeres. Du bist Teil des Meeres. Du bist das Meer.
Der Tod schwieg einen Moment.
Alles, was darüber hinaus von Bedeutung ist, entzieht sich der menschlichen Sprache. Ich kann es dir nicht mitteilen. Würde ich es versuchen, es würde in deinen Ohren absurd klingen.
Egal, ich möchte etwas Absurdes hören, sprich!
Nein, es führt zu nichts, zu rein gar nichts.
Sehr kurze Gesprächspause
Ich könnte dir aber eine kleine Begebenheit aus dem irdischen Leben erzählen, die dir vielleicht zunächst auch absurd erscheint.
Sehr gerne.
Ein weiser Mann wird von seinem Schüler gefragt: »Was ist das wertvollste Ding auf der Welt?« Ohne Zögern sagt der Mann: »Der Kopf einer toten Katze.« »Warum?« fragt der Schüler. »Weil keiner den Preis davon benennen kann.«
Kurze Gesprächspause
Du lagst mit deiner Vermutung richtig. Kommen wir zu unserem Thema zurück, dem Leben nach dem Tod. Ich finde das, was du sagst, nicht tröstlich. Es ist so unvorstellbar, so abstrakt, es ist fremd und macht mir Angst.
Würde es dir besser gefallen, wenn ich dir sage: Nach dem Tod ist alles definitiv vorbei?
Nein ... oder vielleicht doch. Ich könnte es mir eher vorstellen. Aber ich weiß es nicht.
Du musst deine Sinne für die Mysterien der Welt schärfen. Sie sind überall zu finden. In der Einsamkeit der Natur ebenso wie in der Wartehalle eines Flughafens. Erkennst du sie, machen sie dich vertraut mit der absoluten Wirklichkeit. Sei achtsam. Immer. Und vor allem: Finde zur Stille in dir.
Gibt es Menschen, die sich auf dich freuen?
Ja, aber sie freuen sich nicht auf mich, wie Menschen sich auf einen Urlaub oder ein gutes Essen freut. Sie sind tief davon überzeugt, das Leben verlassen zu wollen – und erfüllt von einer großen Sehnsucht, einzugehen in das Absolute. Für das jeder einen anderen Begriff hat.
Mich plagt noch eine Frage, die durch all das, was du mir während
Weitere Kostenlose Bücher