Interview mit einem Buchpiraten
Autoren reden ...
Ich rede davon, dass es die malenden Künstler nicht mehr gibt. Es hat auch mit uns zu tun - hör also zu! Es hat sie natürlich gegeben. Ehrfürchtig umringt der alte Meister, der vor seiner Leinwand saß und vom Rotwein trank, seiner kaum volljährigen Vorlage zulächelnd. Um ihn herum die Gebildeten - jungältere Damen in Begleitung der letzten Sommertage, mittelältere Damen mit dem wässrigen Lächeln frühfrostiger Tage. Die beäugten einander.
... und dann?
... hat eine der älteren Damen sich kaltentschlossen eine Leinwand gekauft. Mehrere von ihnen hatten begonnen, Rotwein zu trinken. Aber das, fand sie, war nicht der richtige Weg. Und sie hat begonnen zu malen.
Ihr fehlte doch jede Vorausetzung?
Wie heißt es doch: Kein Richter, kein Gesetz. Was schön ist, bestimmt der Betrachter. Ihre Freundinnen waren begeistert. Standen um sie herum: 'Mal mal was Schönes! Mal doch mal so! Schau nur die Blumen!' Sie hatten ihr allerlei Vorlagen mitgebracht, auch Schablonen gebastelt. Blumen gesteckt, Farbe in Tuben gekauft. Und eine von ihnen besaß einen Mann mit bemerkbarem Werbeaufkommen bei einer Zeitung. Sodass die Begeisterung mit der Öffentlichkeit geteilt werden konnte.
Fiel den niemandem auf, dass sie keine Künstlerin ist?
Ehe es auffiel, hatten bereits andere begonnen zu malen. Wenn eine entschlossen beginnt, fehlt den Freundinnen geschlossen der Mut zum Zauberbruch. Es entstanden riesige Künstlerinnenmaterialmärkte. Billige Leinwände und hochpreisige Farbtuben. Dort arbeiten jetzt die Studenten der Kunstkademie in Teilzeit. Verkaufen Förmchen und Selbstklebendes. Geben Tips und verwenden Anteilnahme. Es heißt nicht 'Gnädige Frau', sondern 'Du, Dottie' und 'Hallo, Adelheid'.
Das kann doch dem Künstler recht gleichgültig gewesen sein?
Sein Modell verkauft jetzt auch Künstlerinnenmaterial. Sein Atelier wurde weitervermietet an ein Yogastudio für Fremdbeseelung und Ichfindung. Seinen Wein holt er im Pennymarkt. Was um ihn herum geschah, hat der Künstler erst bemerkt, als er auf der Straße saß. Selbst da saß er zufrieden in der Sonne. Bis sich die Wärme vor dem Herbst verkroch. Und ihm klar wurde, die Sache lief nicht gut für einen alternden Künstler.
Aber seine Kunst?
Die hat er verkauft. Dass war eine ganz reizenden Idee, aus dem Mitleid geboren. Du erinnerst dich an sein Modell? Sie kennt den Geschäftsführer dort immer näher. Und hat ihn überredet dem alten Mann seine riesigen Leinwände abzunehmen. Sie standen den teilzeitarbeitenden Sportstudenten im Weg. Da war es ein Akt der tätigen Kunstförderung, einen Transport zu beauftragen.
Lass mich raten, der Geschäftsführer und sein Model haben eine Ausstellung organisiert!?
Auf gewisse Weise hast du recht. Die Leinwände wurden behutsam zerschnitten und kleineren Leinwänden aufgeklebt. Eine Art Vorkunst, die aber noch der entschlossenen und beseelten Befärbung durch die Künstlerin bedurfte. Ausstellungen hat es gegeben, nicht wenige - in Ortsparkassen, zum Spargelfest, im Golfclub und zur Zahnbehandlung.
Hat der alte Künstler denn nichts mehr verkaufen können!?
Doch, doch. Kein Grund zur Sorge. Ihm geht es gut. Er malt jetzt Enkelkinder und gestorbene Hunde. Weißt du, diese handwerklichen Dinge - da macht ihm keiner was vor!
Die andere Seite des Buchregals
MONTAG, 28. MAI 2012
Was sollte das mit dem alten Maler? War ja wohl völlig neben der Spur!
Gut, der alte Maler ist der Schriftsteller alten Typs, der einen Verlag an seiner Seite wusste, dazu Buchhandelsvertreter und Buchhändlerinnen. Das Revier war abgesteckt. Messezeit war Brunftzeit. Da stießen sie mit den schweren Köpfen gegeneinander. Aber ein Autor, ein deutscher Autor, hatte eine Lebensstellung bei seinem Verlag, nicht anders als ein Professor.
Die Verlage sind Wirtschaftsunternehmen. Das unterscheidet sie von einer Uni.
Nicht ganz. Die erfolglosen Autoren wurden von den erfolgreichen Autoren und den wenigen Bestsellerautoren durchgefüttert. Ein typisch deutsches System: Der Verlag insgesamt war ein Wirtschaftsunternehmen, aber der einzelne Autor musste nicht wirtschaftlich denken und handeln. Das haben sich alle gefallen lassen, solange es zu diesem System keine Alternative gab.
Und das hat das eBook jetzt geändert!? Es ist doch nichts als ein weiteres Format zum Papierbuch und zum Hörbuch!
Nein, das eBook hat die Aufgabe, um das Papierbuch zu ersetzen. Zwei Waren, die gleich sind - die eine mit
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