Intimitaet und Verlangen
erträglicher als sonst in Phasen, in denen er und Sally keinen Sex hatten. Weder er noch sie machte den geringsten Versuch, eine solche Situation herbeizuführen. Robert hätte einige Male auf Jason wütend werden können, sparte sich dies aber. Er zwang Jason auch nicht, sich seiner Autorität zu beugen, und sein Sohn war nicht so aufsässig wie sonst.
Natürlich war Sally über diese Entwicklung ziemlich erstaunt. Sie rechnete es Robert hoch an, dass er sich ehrlich mit sich selbst auseinandergesetzt hatte. Doch das allein brachte noch nicht die Lösung aller ihrer Probleme. Robert wirkte nun nicht mehr so schwach und klein, wie es bisher so lange der Fallgewesen war. Sallys Interesse an Sex und speziell an Sex mit Robert wurde stärker.
Und da Robert ständig beobachtete, wie Sally ihn wahrnahm, merkte er dies natürlich auch. Er fühlte sich nun wohler in seiner Haut, weil Sally ihn zu mögen schien. Doch noch wichtiger war für ihn, dass er das Gefühl hatte, mit Jason sehr gut umzugehen. Jedes Mal, wenn er an den Toast mit Milch dachte, musste er grinsen. Dieses Erlebnis half ihm, auf Jason nicht mehr übertrieben stark zu reagieren und seine Reaktionen generell zu mäÃigen. Auch machte er sich weniger Gedanken darüber, ob Jason ihn respektierte oder nicht.
Einige Wochen nach ihrem wichtigen Augenblick der Begegnung hatten Robert und Sally wieder Sex. Das Wichtigste daran war, wie sie in diese Situation kamen. Diese fühlte sich anders an als sonst, weil sie eine völlig neue Bedeutung hatte: Sallys Motiv war nun nicht mehr, Robert zu beschwichtigen, und Robert hatte den Sex nicht gefordert. Sie schufen gemeinsam eine weitere neue Bedeutung, indem sie nicht mehr versuchten, einander zum Orgasmus zu bringen, um ihr gespiegeltes Selbstempfinden zu besänftigen. Dies ermöglichte ihnen, ihren positiven Augenblick der Begegnung beim Sex zu erleben: Sally und Robert öffneten die Augen und schauten einander einige Minuten lang an. Beide sagten während dieser Zeit kein Wort. Sie waren offen zueinander, wie sie es bisher noch nie gewesen waren.
Die Episode löste zwar nicht alle ihre Probleme, aber es war ein wunderbarer Anfang. Sie hatten einen kurzen Blick auf eine völlig andere Art zu leben werfen können. Eine Ehe gedeiht, wenn Menschen einfach Menschen sind. Eine Liebesbeziehung ist eine Möglichkeit, als Person zu wachsen.
Die Antwort auf eine uralte Frage »Tötet die Ehe den Sex?«
Zerstört die Ehe das sexuelle Verlangen? Diese Frage beschäftigt Liebende seit Urzeiten. Seit mindestens 2000 Jahren, also seit der Zeit, in der Ovid seine Liebeskunst schrieb 36 (»Streit ist die Mitgift, die Eheleute einander mitbringen«), existiert die Befürchtung, dass längerfristige emotionale Beziehungen den Sex sterben lassen. Oscar Wilde scherzte: »Bigamie bedeutet, dass man eine Frau zu viel hat. Mit Monogamie verhält es sich genauso.« 37
Ich habe in diesem ersten Teil meines Buches viele Beweise dafür angeführt, dass das, was die soeben zitierten Autoren fürchteten, die Wahrheit ist. Die Ehe tötet tatsächlich das Verlangen! Allerdings beinhaltet diese Antwort etwas anderes, als Ovid, Wilde â und auch die Leser dieses Buches â gedacht haben mögen. Probleme, die das sexuelle Verlangen betreffen, sind ein fester Bestandteil der mittleren Phase jeder Ehe. Sie sind typisch für einen bestimmten Entwicklungsabschnitt von Liebesbeziehungen. Es handelt sich dabei um normale Erscheinungen im Lebenszyklus einer Beziehung.
Was Sie durchleben, empfinden Sie als schmerzhaft, herzzerreiÃend, beängstigend und demoralisierend. Auch ich habe es erlebt und kann aus persönlicher Erfahrung sprechen. Zu wissen, dass Sie einen in einer Langzeitbeziehung typischen Prozess durchleben, kann die Hoffnung stärken und hilft, das Beste aus der Situation zu machen. Wenn Sie verstehen, was geschieht, werden Sie widerstandsfähiger und brauchen sich nicht mehr so defensiv zu verhalten, und auÃerdem hilft Ihnen Ihr Wissen, die Krisensituation schneller zu überwinden. Wie Sie mit Problemen des sexuellen Verlangens umgehen, hat entscheidenden Einfluss auf die Ãberwindung der Schwierigkeiten â auch darauf, ob Ihre Beziehung diese unbeschadet übersteht.
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Als Sie anfingen, dieses Buch zu lesen, hofften Sie vielleicht, ein paar Tipps zu
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