Intimitaet und Verlangen
nach einer anderen Möglichkeit, es erneut zur Sprache zu bringen. Sie besetzte emotional das gesamte Terrain, ähnlich wie Connie, von der in Kapitel 1 die Rede war. Insofern fand ich es nicht überraschend, dass Randall sich sexuell zurückzog.
Carol war in emotionaler Hinsicht sehr anstrengend. Ihre psychische Funktionsfähigkeit war von ihrem Partner ausgeborgt, und ihr war absolut nicht klar, wie belastend sich dies auf sie selbst und Randall auswirkte. Sie ähnelte stark ihrer zudringlichen Mutter, die sie in ihrer Kindheit kontrolliert hatte, die bei Carols Hochzeit die Gestaltungshoheit beansprucht hatte und die immer noch versuchte, ihre Tochter durch Manipulation zu beeinflussen. Doch Randall hütete sich, Carol auf diese Dinge hinzuweisen. In Anbetracht dessen, wie sich Carol auf Randalls Kindheit fixierte, hätte man denken können, es gehe um ihre Beziehung zu ihren eigenen Eltern. Doch Carol hatte schlicht ihre mentale Einfühlung völlig auf Randall konzentriert. Was sie selbst anging, hatte sie einige blinde Flecken.
Der Therapeut, bei dem Randall und Carol vorher gewesen waren, hatte Randall ebenfalls aufgefordert, er solle über seine Kindheit reden, weil er in dieser Hinsicht so defensiv war. Er hatte die Vermutung geäuÃert, Randalls sexuelles Verlangen sei vielleicht deshalb so schwach, weil er in jener Zeit emotionale Verletzungen erlitten habe. Doch schlieÃlich hatten beide die Behandlung ohne Ergebnis abgebrochen. Carol sah in Randall die Verkörperung eines Mannes, der sich nicht mit seinen Gefühlen auseinandersetzen wollte. Wenn sie an dieser Wunde kratzte, wurde Randall defensiv, was den Eindruck erzeugte, er »protestiere zu viel«. Carol entschied darüber, welche Themen und Probleme für ihre Beziehung wichtig waren, und Randall konnte nur darüber entscheiden, welche Position er dazu beziehen wollte. Sie bestimmte, wann sie sich ein neues Haus kauften, wann sie Urlaub machten und wann sie in ein Restaurant essen gingen. Randalls Einfluss beschränkte sich darauf, welche Art von Haus oder Urlaubsort oder Restaurant gewählt wurde. Doch seine Weigerung, über seine Kindheit zu sprechen, war nicht der Schritt in Richtung Autonomie, für den man ihn bei oberflächlicher Betrachtung hätte halten können. Randall war von Carol abhängig, weil sein gespiegeltes positives Selbstempfinden von ihr abhing â mit der Folge, dass er auf Zudringlichkeiten übermäÃig stark reagierte.
Man könnte nun meinen, jemand mit Randalls Hintergrund müsse emotional so verhärtet und zurückgezogen sein, dass ihm völlig egal ist, was andere Menschen über ihn denken. Diesen Eindruck konnte man bei oberflächlicher Betrachtung tatsächlich gewinnen. Untergründig jedoch brauchte Randall Carols Anerkennung. Nur auf dieser Grundlage fühlte er sich wertvoll und war er sich sicher, dass es ein Fehler seiner Eltern gewesen war, ihn aufzugeben. Carols Meinung war für ihn so wichtig, dass er so tat, als ob sie ihn überhaupt nicht interessiere â so wie er es schon gemacht hatte, als seine Eltern ihn ins Internat geschickt hatten. Solange er und Carol miteinander stritten, hatte sie ihn offensichtlich noch nicht aufgegeben. AuÃerdem hielt er sie durch die Streitigkeiten auf Armlänge von sich fern. Er hatte Angst, sie würde die Kontrolle über ihn gewinnen, herausfinden, wer er wirklich war, und dies wäre das Ende von allem.
Wenn Carol und Randall sich nicht wegen Sex stritten, stritten sie über seine (in Carols Augen) mangelnde Bereitschaft, über seine Probleme zu reden. Irgendwann sagte sie gewöhnlich, sie werde ihn verlassen, wenn er es nicht noch einmal mit einer Therapie versuche und sich »mit den Dingen auseinandersetze«. Randall antwortete dann, sie könne ruhig gehen, wenn sie das wolle, aber er werde nicht über seine Kindheit reden, selbst wenn sein Leben â oder seine Ehe â davon abhinge. Carol lieà das Thema Trennung daraufhin fallen, beharrte aber darauf, dass sie noch einmal einen Versuch machten, gemeinsam in Therapie zu gehen. Dies war für sie der Anlass gewesen, zu mir zu kommen. 1
Ungeachtet seiner Weigerung, über seine Kindheit zu reden, fürchtete Randall, die Behandlung könnte erneut fehlschlagen, weil die Auseinandersetzung mit seiner Kindheit ein so wichtiger Bestandteil dieser Arbeit zu sein schien. Dass er sich
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