Intimitaet und Verlangen
einerseits davor fürchtete, über seine Kindheit zu reden, und andererseits auch fürchtete, dies nicht zu tun, war keine gute Ausgangssituation für eine Therapie. Offensichtlich hatte er Probleme mit den Vier Aspekten der Balance . Weil es ihm schwerfiel, sich zu beruhigen, war er in unserer ersten Sitzung emotional reizbar und angriffslustig.
AuÃerdem verfügte Randall nicht in ausreichendem MaÃe über die für eine gesunde psychische Entwicklung erforderliche Fähigkeit zu sinnvoller Beharrlichkeit. Er gab schnell auf und erweckte den Eindruck, ihm sei alles gleichgültig. Er fürchtete sich davor, Dinge wirklich anzugehen und dann als unzulänglich beurteilt zu werden. Er hatte das Problem, das sein sexuelles Verlangen betraf, jahrelang unter den Teppich gekehrt, obwohl ihm klar war, dass Carol über die sexuelle Situation in der Beziehung unglücklich war. Das führte zwar zu Streitigkeiten mit Carol, doch alles in allem konnte er mit der Situation, so wie sie nun einmal war, leben.
Carol war emotional ebenso leicht irritierbar wie Randall. Ein stabiles und flexibles Selbst war bei ihr so gut wie nicht entwickelt. Sie ertrug es nicht, in irgendeiner Hinsicht unvollkommen zu wirken. Sie nahm reflexhaft an, sie sei im Recht, und brachte so andere Menschen leicht in die Defensive. Als Randall in unserer ersten Sitzung mit dem Gezänk aufhörte, hatte Carol das Gefühl, sie stünde vergleichsweise schlecht da. Instinktiv startete sie deshalb erneut einen Angriff auf Randall, um ihr gespiegeltes Selbstempfinden zu stärken. Sie verfolgte ihn und sagte, er brauche nicht mit ihr zu streiten, weil er selbst wisse, wie es um ihn bestellt sei.
»Du meinst vielleicht, du wüsstest, wer du bist, aber das ist nicht der Fall. Vielleicht meinst du, du wüsstest genau, wann wir das letzte Mal Sex hatten, aber das weiÃt du nicht. Es ist fünf Monate und 21 Tage her. Du bist so schrecklich selbstgerecht, tust aber rein gar nichts, um dein Problem zu lösen â das Problem, das du uns eingebrockt hast.«
Nachdem beide kurz aus ihrer »emotionalen Suppe« aufgetaucht waren, tauchte Randall gleich wieder unter. »Das ist nicht mein Problem! Es ist unser Problem! Das hat der andere Therapeut auch schon gesagt.«
»Der andere Therapeut, mit dem du nicht über deine Kindheit reden wolltest?«
Carol verhielt sich, als hätte sie Randall in ihrem emotionalen Schachspiel schachmatt gesetzt. Ich verstand dies als einen Hinweis auf ihre Probleme mit den Vier Aspekten der Balance . Sie war sich ihrer Identität unsicher, weil Randall sie nicht mehr begehrte, und ihre Unsicherheit darüber, ob sie noch attraktiv war, veranlasste sie, Randalls Kompetenz in Frage zu stellen. Wie Randall fiel es auch ihr schwer, mit ihren Ãngsten fertigzuwerden und ihren Kummer selbst zu lindern. Carol hatte auch Schwierigkeiten, gut geerdete und verhältnismäÃige Reaktionen zu entwickeln. Sie reagierte zu heftig, wenn Randall zeitweise souveräner auftrat als sie. Sie versuchte die Probleme, die sie in ihrer gemeinsamen Partnerschaft hatten, ihm zuzuschreiben, statt das nicht so ganz angenehme Gefühl auszuhalten, sich an die eigene Nase zu fassen.
Schwierigkeiten mit den Vier Aspekten der Balance
Carol brauchte es, dass Randall sich zu ihr hingezogen fühlte, um sich gut fühlen zu können. Wenn er Sex mit ihr vermied, hielt sie nach Männern Ausschau, die ihr Aufmerksamkeit schenkten. Allerdings verängstigte und verärgerte sie dies, weil sie keine Affäre anfangen wollte.
Wenn Carol besonders ängstlich, unsicher und wütend wurde, sagte sie Dingewie: »Vielleicht sollten wir uns einfach scheiden lassen! Du wärest wahrscheinlich glücklicher mit einer Frau, die keinen Sex mit dir will. Und ich sollte mir jemanden suchen, der Sex will. Jeder für sich allein kämen wir sicher beide besser zurecht.« Insgeheim jedoch versuchte Carol auf diese Weise zu erreichen, dass Randall sie zum Bleiben bewegte.
Doch wie vorauszusehen fühlte Randall sich angegriffen und nahm die Herausforderung an: »Du willst die Scheidung? Gut. Dann lassen wir uns eben scheiden. Sag es unseren Kindern. Sag ihnen, dass du unser gemeinsames Zuhause zerstören willst, weil du so geil bist.«
In den Streitgesprächen, die sich an solche Eröffnungen anschlossen, sagten Carol und Randall schreckliche, emotional verletzende Dinge
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