Intimitaet und Verlangen
attraktiv und machten ihr häufig sexuelle Angebote. Vor einem Jahr hatte sie sechs Monate lang eine Affäre gehabt. Julian hatte dies gemerkt, als Karen diese Beziehung gerade beenden wollte. Seither war es zwischen ihr und Julian nicht mehr zu sexuellen Begegnungen gekommen. Kürzlich hatte sie ihm mitgeteilt, sie denke darüber nach, ihn zu verlassen. Deshalb saÃen sie nun gemeinsam in meiner Praxis, und Julian brachte seine Wut darüber zum Ausdruck, dass Karen ihm unrecht getan habe, wohingegen Karen erklärte, ihre Affäre sei einerseits die natürlichste Sache der Welt und andererseits allein seine Schuld.
Monogamie, Ehebruch und die menschliche Natur
Weil viele Klienten mich über Monogamie, Ehebruch und die menschliche Natur befragt haben, habe ich mich ein wenig über wissenschaftliche Erkenntnisse und Ansichten zu dieser Thematik informiert. So fand ich heraus, dass die Menschen zunächst wahrscheinlich promiskuitiv waren, so wie die sexuell aktiven Bonobos. Doch als vor ca. 350000 Jahren die »menschliche Natur« entstand, veränderte sich die Situation. Wahrscheinlich wechselten die Muster des Sexualverhaltens mehrfach zwischen Promiskuität und Monogamie, während sich die Lebensbedingungen verbesserten und verschlechterten. Die Anthropologin Helen Fisher schreibt: »[Ich] stelle [â¦] die Hypothese auf, dass sich die Formen sexueller Beziehungen des Neuzeitmenschen und seine sexuellen Empfindungen mit der Fortpflanzungsstrategie der seriellen Monogamie und des heimlichen Ehebruchs entwickelten.« 1
Jäger-und-Sammler-Gesellschaften sind gegenüber Untreue toleranter als industrielle Gesellschaften, doch auch das gespiegelte Selbstempfinden unserer Jäger-und-Sammler-Vorfahren nahm solche Vorkommnisse schon sehr persönlich. Die gesellschaftlichen Regeln schrieben in solchen Fällen Prügel oder eine hochnotpeinliche Befragung vor, oder die Betreffenden wurden öffentlich lächerlich gemacht. Auch diese frühen Menschen hatten schon ein Gewissen und ein Gefühl für richtig und falsch. Und auch damals schon gab es »sollte« und »sollte nicht« â sowie: »Ich weiÃ, dass ich das nicht sollte , aber vielleicht komme ich ja trotzdem damit durch.«
Monogamie
Während viele Tierarten Harems bilden, tun Menschen sich mit festen Partnern zusammen. Die Paarbindung ist ein spezielles Merkmal des Menschen. Monogamie ist die Regel (mit wenigen Ausnahmen). Die meisten Menschen heiraten jeweils nur eine andere Person. Unter den 853 von den Vereinten Nationen registrierten Kulturen gestatten 84 Prozent einem Mann, mehr als eine Frau zu einem bestimmten Zeitpunkt (Polygynie) zu haben. Nur 16 Prozent schreiben Monogamie (jeweils nur eine Frau) vor. Doch wenn in einer Gesellschaft Polygynie erlaubt ist, haben tatsächlich nur fünf bis zehn Prozent der Männer mehrere Frauen gleichzeitig. 2 Eine Untersuchung, in die 250 Gesellschaften einbezogen wurden, gelangte zu dem Resümee, dass alle heute bekannten menschlichen Gesellschaften in der Praxis monogam sind. 3
Doch Monogamie und eheliche Treue sind nicht ein und dasselbe. Genau genommen bedeutet Monogamie, dass jemand immer nur mit einer Person verheiratet ist. Prinzipiell handelt es sich also um eine exklusive Beziehung â was allerdings insgeheime sexuelle Beziehungen auÃerhalb der Paarbeziehung nicht ausschlieÃt. »Schummeln« wurde bei 100 Arten monogam lebender Vögel und monogamer Säugetiere unter Einschluss von Affen beobachtet. Aus Darwinscher Sicht »verbessert« Ehebruch die Monogamie. 4
Trotz gesellschaftlicher Regeln, Moralvorschriften und unserer Fähigkeit, emotionale und soziale Folgen unseres Handelns (einschlieÃlich der Todesstrafe) vorauszusehen, existiert keine Kultur, in der Ehebruch unbekannt ist. Alfred Kinsey stellte in den 1940er Jahren fest, dass mehr als ein Drittel einer Stichprobe von 6000 verheirateten Männern auÃereheliche Beziehungen hatte, wobei er vermutete, dass die tatsächliche Zahl näher bei der Hälfte der Untersuchungsteilnehmer liege. Eine unter vier Frauen hatte eine auÃereheliche Affäre gehabt, wenn sie das Alter von 40 Jahren erreicht hatte. Von diesen hatten 41 Prozent eine einzige Affäre gehabt, 40 Prozent zwei bis fünf Affären und 19 Prozent sogar mehr als fünf. 5 Im Rahmen einer in den 1970er Jahren mit Lesern der Zeitschrift Psychology
Weitere Kostenlose Bücher