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Intrige (German Edition)

Intrige (German Edition)

Titel: Intrige (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robert Harris
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dass das Geheimdossier den Richtern in ihrem Beratungszimmer übergeben wurde; dass das Dossier vertrauliche Briefe enthielt, die der deutsche und der italienische Militärattaché miteinander wechselten; dass sich einer der Briefe ausdrücklich auf, wie es heißt, diese Bestie Dreyfus bezog – die Wendung »dieser Lump D« taucht in dem Artikel jedoch nicht wörtlich auf. »Es war dieser unwiderlegbare Beweis, der für das Urteil der Richter ausschlaggebend war« schließt der Artikel.
    Ich trommle mit den Fingern auf die Tischplatte. Wer liefert all diese Einzelheiten? Guénée behauptet, die Familie Dreyfus. Ich bin mir da nicht so sicher. Wer profitiert von diesen Enthüllungen? Aus meiner Sicht sind die offensicht lichsten Profiteure die, die eine Wagenburgmentalität innerhalb des Kriegsministeriums schaffen und meine Nachforschungen über Esterházy beschneiden wollen. Es ist die Wendung »diese Bestie Dreyfus«, die mich an etwas erin nert. Hat das du Paty nicht immer von Dreyfus behauptet: dass er von animalischen Trieben gesteuert sei?
    Ich nehme eine Schere und schneide den Artikel sorgfältig aus. Dann schreibe ich einen Brief an Gonse, der immer noch im Urlaub ist. »Neulich habe ich mir die Freiheit genommen, Ihnen meine Auffassung mitzuteilen, dass wir in ernste Schwierigkeiten geraten könnten, wenn wir nicht selbst die Initiative ergreifen. Der beigefügte Artikel aus L’Éclair betätigt leider meine Auffassung. Ich fühle mich verpflichtet, noch einmal zu betonen, dass es unerlässlich ist, ohne Verzug zu handeln. Wenn wir noch länger warten, wird uns die Entwicklung überrollen und in eine aussichtslose Lage bringen. Es wird uns nicht mehr möglich sein, uns entweder selbst zu verteidigen oder die Wahrheit herauszufinden.«
    Ich zögere, bevor ich den Brief abschicke. Ich gebe damit offiziell meine Meinung zu Protokoll. Gonse ist ein mustergültiger Soldat, vielleicht nicht auf dem Schlachtfeld, aber sicherlich auf dem Feld der Aktenablage. Er wird den Brief als das erkennen, was er ist: als Eskalation der Feindseligkeiten.
    Ich schicke ihn trotzdem ab.
    Am nächsten Tag zitiert er mich zu sich. Er hat seinen Urlaub abgebrochen und ist wieder in seinem Büro. Ich kann seine Panik auf zweihundert Meter spüren.
    Auf den Fluren des Kriegsministeriums geht es ruhiger zu als sonst. Billot und Boisdeffre begleiten Präsident Fauré auf dessen Inspektionsreise zu den Herbstmanövern in den Süd westen des Landes. Die meisten Offiziere des Generalstabs mit Karriereambitionen – und das sind fast alle – haben dafür gesorgt, im Felde zu sein. Die leeren, hallenden Flure erinnern mich an die Atmosphäre der Verräterhatz vor zwei Jahren.
    »Ich habe Ihren Brief bekommen«, sagt Gonse und wedelt damit herum, als ich mich auf den Stuhl vor seinem Schreibtisch setze. »Glauben Sie nicht, ich hätte kein Verständnis für Ihren Standpunkt. Wenn ich die Uhr zum Anfang dieser verdammten Geschichte zurückdrehen könnte, dann wäre ich Ihrer Meinung, das können Sie mir glauben. Zigarette?« Er schiebt mir die Schachtel zu. Ich hebe ablehnend die Hand. Er nimmt sich eine und zündet sie an. Sein Ton könnte nicht freundlicher sein. »Machen wir uns nichts vor, mein lieber Picquart. Die Dreyfus-Ermittlungen sind nicht so professionell durchgeführt worden, wie das der Fall hätte sein sollen. Sandherr war ein kranker Mann, und du Paty – nun ja, wir alle wissen, wie Armand ist, trotz seiner vielen Vorzüge. Trotzdem müssen wir jetzt an dem Punkt weitermachen, an dem wir stehen, wir können die ganze Geschichte nicht wieder von vorn auf rollen. Das würde zu viele alte Wunden aufreißen. Sie haben ja gesehen, was in den letzten Tagen in der Presse los war, diese latente Hysterie um Dreyfus. Das würde das Land zerreißen. Wir müssen jetzt einfach das Loch stopfen. Das sehen Sie doch ein, oder?«
    Er schaut mich mit so flehenden, um meine Zustimmung bettelnden Augen an, dass ich für ein paar flüchtige Momente fast versucht bin, ihm nachzugeben. Er ist kein schlech ter Mensch, nur ein schwacher. Er will ein ruhiges Leben, will einfach gemütlich zwischen dem Ministerium und seinem Garten hin- und herpendeln.
    »Ich verstehe das, Herr General. Aber diese Geschichten, die an die Presse durchsickern, stellen eine ganz andere War nung an uns dar. Wir müssen erkennen, dass in diesem Augen blick, während wir uns hier unterhalten, schon eine Untersuchung des Falles Dreyfus im Gange ist. Leider wird sie von

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