Intrige (German Edition)
ausgezogen.«
»Woher wissen Sie das?«
»Ich war drin. Keine Angst, nichts Illegales. Sie ist zu vermieten. Ich habe den Wohnungssuchenden gespielt. Die meisten ihrer Möbel haben sie mitgenommen, nur ein bisschen Plunder ist übrig. Im Herd hat er jede Menge Papier verbrannt. Das hier habe ich gefunden.«
Er gibt mir eine Visitenkarte mit angesengten Rändern:
Édouard Drumont
Herausgeber
La Libre Parole
Ich drehe die Visitenkarte hin und her. »Dann arbeitet Ester házy also für dieses antijüdische Hetzblatt.«
»Sieht so aus. Aber vielleicht hat er ihnen auch nur Informationen geliefert. Tun viele aus der Armee. Der Punkt ist, Herr Oberstleutnant, er ist untergetaucht. Er ist nicht in Paris. Er ist auch nicht mehr in Rouen. Er hat sich in die Ardennen verzogen.«
»Glauben Sie, er weiß, dass wir ihm auf den Fersen sind?«
»Ich bin mir nicht sicher. Aber irgendwie stinkt die Sache. Wenn wir ihm eine Falle stellen wollen, dann sollten wir das jedenfalls so schnell wie möglich tun.«
»Sind die Hörrohre schon ausgebaut?«
»Ja, seit gestern.«
»Gut. Und die Löcher im Kaminschacht, wann werden die wieder zugemauert?«
»Einer meiner Leute erledigt das heute Abend.«
»Gut. Um die Falle kümmere ich mich.«
•
Billot ist jetzt meine einzige Hoffnung. Billot, die alte Eidechse, der alte Überlebenskünstler, der zweimalige Kriegsminister – bestimmt wird er nicht nur das Amoralische, sondern auch den politischen Wahnsinn an der Strategie des Generalstabs erkennen.
Seine Rückkehr von den Manövern im Südwesten ist für Freitag angekündigt. An jenem Morgen bringt Le Figaro auf der Titelseite eine an die Abgeordnetenkammer gerichtete Petition von Lucie Dreyfus, in der darauf hingewiesen wird, dass die Regierung die Geschichten über das Geheimdossier nicht dementiert hat:
Und so muss es wohl wahr sein, dass ein französischer Offizier aufgrund einer Beschuldigung verurteilt wurde, die die Anklagevertretung dem Kriegsgericht ohne Wissen des Angeklagten vorlegte und zu der deshalb weder er noch sein Verteidiger Stellung nehmen konnten.
Das ist die Verweigerung jeglicher Gerechtigkeit.
Seit fast zwei Jahren bin ich – wie der Mann, an dessen Unschuld ich unerschütterlich glaube – das Opfer des grausamsten Martyriums. Trotz der in der Öffentlichkeit und der Presse verbreiteten Verleumdungen der widerlichsten und widersinnigsten Art habe ich bislang geschwiegen.
Doch heute ist es meine Pflicht, dieses Schweigen zu brechen. Ohne Kommentar und Schuldzuweisungen wende ich mich an Sie, meine Herren, die einzige Macht, bei der ich noch Zuflucht suchen kann – und fordere Gerechtigkeit.
In den engen, düsteren Fluren und Treppenhäusern der Statistik-Abteilung herrscht Stille. Meine Offiziere haben sich in ihre Büros verkrochen. Stündlich rechne ich damit, von Gonse auf die andere Straßenseite zitiert zu werden, damit ich ihm die neueste Bombe erklären möge. Aber das Telefon bleibt stumm. Von meinem Büro aus behalte ich mit halbem Auge die Rückseite des Hôtel de Brienne im Auge. Schließ lich, es ist kurz nach drei, sehe ich hinter den hohen Fenstern uniformierte Ordonnanzen mit Aktenkoffern. Der Minister muss wieder da sein. Die Topografie kommt mir zugute: Gonse in der Rue Saint-Dominique weiß sicherlich noch nicht, dass er wieder zurück ist. Ich gehe hinunter in die Rue de l’Université, überquere die Straße und ziehe meinen Schlüssel aus der Tasche, um die Tür zum Garten des Ministers zu öffnen.
Und dann passiert etwas Seltsames. Der Schlüssel passt nicht. Ich versuche es drei-, viermal, aber ich will einfach nicht begreifen, dass er nicht passt. Die Form des Schlosses ist völlig anders als früher. Schließlich gebe ich auf und nehme wie jeder normale Sterbliche den langen Weg außen herum über die Place du Palais-Bourbon.
»Oberstleutnant Picquart für den Kriegsminister …«
Die Wache öffnet das Tor und lässt mich hinein, aber der Hauptmann der Republikanischen Garde im Entree im Erdgeschoss bittet mich zu warten. Nach ein paar Minu ten kommt Hauptmann Calmon-Maison die Treppe her unter.
Ich halte den Schlüssel hoch. »Funktioniert nicht mehr.« I ch versuche einen Witz daraus zu machen. »Wegen übermäßiger Neugier aus dem Garten vertrieben, wie Adam.«
Calmon-Maison verzieht keine Miene. »Tut mir leid, Herr Oberstleutnant. Wir müssen die Schlösser gelegentlich austauschen – Sicherheitsmaßnahme, Sie verstehen.«
»Sie müssen sich nicht
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