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Intrige (German Edition)

Intrige (German Edition)

Titel: Intrige (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robert Harris
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Militärattachés, die eine wesentliche Rolle im Fall gegen Dreyfus gespielt hat, die ha ben nicht Sie an Major Henry weitergegeben?«
    »Tja, ich weiß nicht mehr.« Plötzlich scheint er sich nicht mehr so sicher zu sein.
    »Also, haben Sie oder haben Sie nicht? Major Henry sagt ja.«
    »Tja, dann muss es wohl so sein.«
    »Ich habe es sogar hier, was Val Carlos Ihnen erzählt hat und Sie dann weitergegeben haben.« Ich hole das Geheim dossier aus meiner Schreibtischschublade, öffne es und nehme Henrys Protokoll heraus. Erstaunt reißt Guénée die Augen auf, während ich ihm den Teil, der ihn betrifft, vorlese. »›Ver gessen Sie nicht, Major Henry von mir auszurichten (und er mag es dem Oberst gern weitergeben)‹ – damit ist Oberst Sandherr gemeint, nehme ich an – ›dass die Kontrollen im Kriegsministerium verstärkt werden müssen. Aus meinem letzten Gespräch mit den deutschen Attachés weiß ich, dass sie einen Offizier im Generalstab haben, der sie außerordentlich gut informiert. Finden Sie den Mann, Guénée. Wenn ich wüsste, wie er heißt, würde ich Ihnen den Namen nennen!‹«
    »Ja, so ungefähr stimmt das.«
    »Und das hat er Ihnen etwa sechs Monate vor Dreyfus’ Verhaftung gesagt?«
    »Ja, Herr Oberstleutnant, im März.«
    Etwas an seinem Verhalten sagt mir, dass er immer noch lügt. Ich schaue auf die Zeilen, die ich gerade vorgelesen habe. Klingt nicht gerade nach einem spanischen Marquis, klingt mehr nach einem Polizisten, der eine Zeugenaussage erfindet.
    »Moment noch, nur damit das klar ist«, sage ich. »Wenn ich den Marquis de Val Carlos besuchen und sagen würde: ›Unter uns, mein lieber Marquis, stimmt es, dass Sie diese Worte, mit deren Hilfe Hauptmann Dreyfus auf der Teufelsinsel gelandet ist, zu Monsieur Guénée gesagt haben?‹, würde er mir dann antworten: ›Mein lieber Major Picquart, das ist absolut korrekt‹?«
    Die Panik steht Guénée ins Gesicht geschrieben. »Nun ja, das weiß ich nicht, Herr Oberstleutnant. Das war ein vertrauliches Gespräch. Bei den ganzen Geschichten, die jetzt so über Dreyfus in den Zeitungen stehen, wie kann ich da beschwören, was er heute sagen würde?«
    Ich schaue ihn an. Mein Gott, denke ich. Was um Him mels willen hatten sie vor? Wenn Val Carlos das Guénée nicht erzählt hat, dann leuchtet ein, dass er es auch nicht Henry erzählt hat. Denn es war ja nicht einfach Guénée, den der Spanier vor einem deutschen Spion im Generalstab warnen sollte: Es war Henry. Ihr angebliches Gespräch bildete die Grundlage für Henrys theatralische Zeugenaussage vor dem Kriegsgericht: Der Verräter ist dieser Mann!
    Ein Klopfen an der Tür beendet das lange Schweigen. Lauth steckt seinen blonden Kopf zur Tür herein. Ich frage mich, wie lange er wohl schon gelauscht hat. »General Boisdeffre möchte, dass Sie sofort zu ihm rüberkommen, Herr Oberstleutnant.«
    »Danke. Rufen Sie in seinem Büro an, dass ich auf dem Weg bin.« Lauth geht wieder. »Wir reden ein andermal weiter«, sage ich zu Guénée.
    »Ja, Herr Oberstleutnant.« Als er geht, scheint er mäch tig erleichtert zu sein, ohne weitere Fragen davongekommen zu sein. Wenigstens macht er diesen Eindruck.
    •

    Boisdeffre sitzt hinter seinem pompösen Schreibtisch. Seine grazilen Hände liegen flach auf der Schreibtischplatte, dazwischen liegt die heutige Ausgabe von L’Éclair . »Ich nehme an, Sie haben gestern mit dem Minister gesprochen«, sagt er. Er kann sich nur mit Mühe zu einem gelassenen Ton zwingen.
    »Ja, Herr General, ich sehe ihn fast jeden Tag.«
    Boisdeffre lässt mich in Habtachtstellung vor seinem Schreibtisch stehen, was bislang noch nie vorgekommen ist.
    »Und da haben Sie ihm das Geheimdossier über Dreyfus gezeigt?«
    »Ich war der Meinung, dass er über die Fakten Bescheid wissen sollte …«
    »Das werde ich nicht zulassen!« Er hebt eine Hand und schlägt damit hart auf die Tischplatte. »Ich habe gesagt, dass Sie mit Gonse sprechen sollen und mit sonst niemand! Wie kommen Sie dazu, meine Befehle zu missachten?«
    »Es tut mir leid, Herr General, es war mir nicht bewusst, dass Ihr Befehl auch für den Minister galt. Wenn Sie sich erinnern, im letzten Monat haben Sie mir die Erlaubnis erteilt, General Billot über die Esterházy-Ermittlungen zu unterrichten …«
    »Über Esterházy, ja! Aber nicht über Dreyfus! Ich dachte, General Gonse hätte Ihnen unmissverständlich klargemacht, die beiden Angelegenheiten strikt zu trennen.«
    Ich schaue weiter starr geradeaus

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