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Intrige (German Edition)

Intrige (German Edition)

Titel: Intrige (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robert Harris
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seiner Familie und ihren Unterstützern organisiert. Der Prozess entgleitet uns. Was ich in meinem Brief deutlich machen wollte, ist das grundlegende militärische Prinzip, dass wir es sein sollten, die die Initiative ergreifen, solange uns noch die Zeit dafür bleibt.«
    »Und wie stellen wir das an? Durch Kapitulation? Indem wir ihnen geben, was sie wollen?«
    »Nein, indem wir eine Stellung aufgeben, die schlicht nicht mehr zu halten ist, und stattdessen eine neue Verteidigungslinie auf höherem Terrain errichten.«
    »Ja – wie schon gesagt – indem wir ihnen geben, was sie wollen! Wie auch immer, ich bin nicht Ihrer Meinung. Unsere jetzige Stellung ist sehr wohl zu halten, solange wir nur eng genug zusammenstehen. Uns schützt die eiserne Wand der Rechtsprechung. Wir sagen einfach: Sieben Richter haben alle Beweise begutachtet. Sie haben ein einstimmiges Urteil gefällt. Der Fall ist abgeschlossen.«
    Ich schüttele den Kopf. »Nein, entschuldigen Sie, Herr General, aber diese Linie wird nicht halten. Die Richter sind nur wegen dem Geheimdossier zu einem einstimmigen Urteil gekommen. Und die Beweise in dem Geheimdossier sind, nun ja …« Ich halte inne, bin mir nicht sicher, wie ich fortfahren soll. Mir fällt Guénées Gesichtsausdruck ein, als ich ihn über sein angebliches Gespräch mit Val Carlos ausgefragt habe.
    »Die Beweise sind was?«, fragt Gonse ruhig.
    »Die Beweise in dem Dossier sind …« Ich breite die Arme aus. »Sie sind schwach . Wenn sie wasserdicht wären, könnten wir über die Tatsache, dass sie der Verteidigung vorenthalten wurden, vielleicht hinwegsehen. Aber so …«
    »Ich verstehe vollkommen, was Sie meinen, mein lieber Picquart – glauben Sie mir, vollkommen!« Er beugt sich vor und schaut mich beschwörend an. »Aber das ist exakt der Punkt, warum die Korrektheit des Geheimdossiers unter keinen Umständen angezweifelt werden darf. Angenommen, wir folgen Ihrer Route auf höheres Terrain und sagen dem französischen Volk: Also, das war so, der Bordereau stammt jetzt doch von Esterházy, und deshalb holen wir Dreyfus von seiner Insel, und er kriegt einen neuen großen Prozess. Was kommt dann als Nächstes? Die Leute werden wissen wollen, warum die ursprünglichen Richter – alle sieben, wohlgemerkt – die ganze Geschichte dermaßen falsch bewerten konnten. Und damit sind wir wieder bei dem Geheimdossier. Einige sehr hochstehende Persönlichkeiten werden höchst irritiert sein. Wollen Sie das? Stellen Sie sich vor, welchen Schaden das der Reputation der Armee zufügen würde!«
    »Ich gestehe zu, der Schaden wird nicht zu vermeiden sein, Herr General. Aber man würde uns auch Anerkennung dafür zollen, dass wir den eigenen Stall ausgemistet haben. Während wir den Schaden nur vergrößern würden, wenn wir auf die alten noch ein paar neue Lügen drauf packen …«
    »Keiner redet von Lügen, Herr Oberstleutnant! Ich verlange keine Lügen von Ihnen! Das würde ich nie tun. Ich weiß, Sie sind ein Ehrenmann. Tatsächlich verlange ich nicht einmal, dass Sie überhaupt etwas tun. Ich verlange nur von Ihnen, dass Sie nichts tun. Sie lassen einfach die Finger vom Fall Dreyfus. Ist das so unzumutbar, Georges?« Er wagt ein dünnes Lächeln. »Schließlich kenne ich Ihre Ansichten über das auserwählte Volk – also wirklich, wenn das alles vorbei ist, was kümmert es Sie da noch, ob ein einzelner Jude auf der Teufelsinsel hockt?«
    Es ist, als ob er sich über den Schreibtisch gebeugt und mir einen geheimen Handschlag angeboten hätte. »Ich schätze, es kümmert mich deshalb, weil er unschuldig ist«, sage ich vorsichtig.
    Gonse lacht. Sein Gelächter hört sich an, als könnte es jeden Augenblick ins Hysterische umkippen. »Ach Gott, wie sentimental!« Er klatscht sich in die Hände. »Ein herrlicher Gedanke! Neugeborene Lämmchen und Kätzchen und Alfred Dreyfus – und alle so unschuldig!«
    »Bei allem Respekt, Herr General, Sie wollen ja wohl nicht andeuten, dass ich mit dem Mann irgendwie emotional verbunden bin? Ich kann Ihnen versichern, dass mich keine Gefühle welcher Art auch immer mit ihm verbinden. Offen gesagt wäre es mir lieber, er wäre tatsächlich schuldig. Das würde mir mein Leben wesentlich erleichtern. Bis vor Kurzem war ich mir noch sicher, dass er schuldig ist. Aber jetzt liegen die Beweise vor mir, und es scheint ganz so, dass er nicht schuldig sein kann . Der Verräter ist Esterházy.«
    »Vielleicht ist es Esterházy, vielleicht nicht. Man kann sich nie

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