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Intrige (German Edition)

Intrige (German Edition)

Titel: Intrige (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robert Harris
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Offiziere aus dem Generalstab. Ich bin seit Jahren nicht mehr dort gewesen. Um diese Zeit ist es ruhig. Gleich neben dem Eingang stehen ein paar Hauptleute mit einem Glas in der Hand da, der Barkeeper liest Zeitung, ein Kellner wischt die Tische ab. An den Wänden Regimentsfotos, auf dem nackten Holz boden Sägespäne, die Einrichtung braun, messing- und sepia farben. Henry fühlt sich ganz wie zu Hause. Wir setzen uns an einen Tisch in der Ecke. Er bestellt Kognak, ich schließe mich an, weil mir nichts Besseres einfällt. »Lassen Sie die Flasche da«, sagt er zu dem Kellner. Er bietet mir eine Zigarette an. Ich lehne ab. Er zündet sich eine an, und plötzlich wird mir klar, dass ein Teil von mir den alten Teufel tatsächlich vermisst hat, so wie man manchmal etwas Vertrautes, ja Hässliches lieb gewinnt. Henry ist die Armee – auf eine Art, wie es Lauth, Boisdeffre oder ich nie sein werden. Wenn Soldaten aus dem Glied treten und vom Schlachtfeld fliehen wollen, dann sind es die Henrys dieser Welt, die sie überreden können, zurückzukommen und weiterzukämpfen.
    »Also«, sagt Henry und hebt sein Glas. »Worauf sollen wir trinken?«
    »Wie wär’s mit etwas, das wir beide lieben? Die Armee!«
    »Sehr gut«, sagt er. Wir stoßen an. »Auf die Armee!«
    Er trinkt in einem Zug aus, füllt mein Glas auf und schenkt dann sich nach. Er nippt am Glas und schaut mich über den Rand an. Seine kleinen Augen haben eine schmutzige, trübe Farbe. Ich kann nichts darin lesen. »Im Büro scheint mir derzeit ein ziemliches Chaos zu herrschen, Herr Oberstleutnant, wenn Sie mir die Bemerkung gestatten.«
    »Ich nehme jetzt doch eine Zigarette, wenn ich darf.« Er schiebt die Schachtel über den Tisch. »Und wessen Schuld ist das Ihrer Meinung nach?«
    »Ich zeige nicht mit dem Finger auf andere Leute. Ich sage nur, dass es so ist.«
    Ich zünde mir die Zigarette an und spiele mit meinem Glas herum, schiebe es wie eine Schachfigur auf dem Tisch hin und her. Ich verspüre das merkwürdige Verlangen, mich zu offenbaren. »Von Mann zu Mann, ich wollte nie Chef der Abteilung werden, wussten Sie das? Spione waren mir ein Graus. Ich habe den Posten nur durch Zufall bekommen. Wenn ich Dreyfus nicht persönlich gekannt hätte, hätte ich nie etwas mit seiner Verhaftung zu tun gehabt und wäre nie bei dem Prozess vor dem Kriegsgericht und der De gradierung dabei gewesen. Leider scheinen die hohen Herren mich völlig falsch einzuschätzen.«
    »Und wie lautet die richtige Einschätzung?«
    Henrys Zigaretten sind sehr stark. Türkische. Hinten in der Nase fühlt es sich an, als stünde alles in Flammen. »Ich habe Dreyfus noch einmal unter die Lupe genommen.«
    »Ja, Gribelin hat mir erzählt, dass Sie sich das Dossier geholt haben. Da scheinen Sie ja einiges aufgewirbelt zu haben.«
    »General Boisdeffre war der Überzeugung, dass das Dossier gar nicht mehr existiert. Er sagt, General Mercier hätte Oberst Sandherr befohlen, es loszuwerden.«
    »Das wusste ich nicht. Der Oberst hat mir nur gesagt, dass ich es sicher aufbewahren soll.«
    »Warum hat Sandherr den Befehl missachtet, was glauben Sie?«
    »Das müssten Sie ihn schon selbst fragen.«
    »Vielleicht tue ich das.«
    »Sie können ihn fragen, was Sie wollen, Herr Oberstleutnant, aber ich befürchte, Sie werden kaum eine Antwort bekommen.« Henry tippt sich mit dem Finger an die Schläfe. »Er sitzt in Montauban hinter Schloss und Riegel. Ich bin eigens den weiten Weg da runtergefahren und habe ihn besucht. Es war mitleiderregend.« Er schaut mich traurig an. Plötzlich hebt er sein Glas. »Auf Oberst Sandherr. Einen unserer Besten!«
    »Auf Sandherr!«, sage ich und tue so, als würde ich auf sein Wohl trinken. »Aber warum, glauben Sie, hat er das Dossier behalten?«
    »Wahrscheinlich hat er gedacht, es könnte ihm mal nützlich sein – schließlich war es das Dossier, das Dreyfus überführt hat.«
    »Nur dass Sie und ich wissen, dass Dreyfus unschuldig ist.«
    Henry reißt erschrocken die Augen auf. »Ich würde das nicht so laut herumposaunen, Herr Oberstleutnant, besonders nicht hier drin. Möglich, dass das einigen gar nicht gefällt.«
    Ich schaue mich um. Es wird allmählich voller. Ich beuge mich zu ihm vor und senke die Stimme. Ich bin mir nicht sicher, ob ich auf ein Geständnis aus bin oder selbst eines ablegen will, nur dass ich irgendeine Art von Absolution brauche. »Dreyfus hat den Bordereau nicht geschrieben«, sage ich leise. »Er ist von Esterházy. Sogar

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