Intrige (German Edition)
vorbei ist, würde ich Sie gern zu einem Sondereinsatz in die östlichen Garnisonsstädte schicken.«
»Um was zu tun, Herr General?«
»Inspektion der Sicherheitsvorkehrungen. Erstatten Sie Bericht und machen Sie Verbesserungsvorschläge. Wichtige Arbeit.«
»Wie lange werde ich von Paris weg sein?«
»Nur ein paar Tage. Höchstens ein oder zwei Wochen.«
»Und wer soll dann die Abteilung leiten?«
»Das übernehme ich selbst.« Er lacht und klopft mir auf die Schulter. »Wenn Sie mir den Laden anvertrauen!«
•
Am Sonntag treffe ich bei den Gasts Pauline – zum ersten Mal seit Wochen. Sie trägt ein Kleid, von dem sie weiß, dass ich es mag: gelb mit weißen Spitzenmanschetten und weißem Kragen. Philippe und ihre beiden kleinen Mädchen, Germaine und Marianne, sind auch mitgekommen. Normalerweise komme ich problemlos damit zurecht, die Familie zusammen zu sehen, aber an diesem Tag ist es eine Qual. Das Wetter ist kalt und feucht. Wir müssen im Haus bleiben. Keine Chance, dem Anblick zu entfliehen, wie sie in ihrem anderen Leben aufgeht – in ihrem richtigen Leben.
Nach ein paar Stunden wird mir die Heuchelei zu viel. Ich gehe auf die Veranda hinter dem Haus und rauche eine Zigarre. Wie bei einem nordeuropäischen Monsun mischt sich in den kalten und harten Regen Hagel, der auch noch die letzten Blätter von den Bäumen reißt. Die Hagelkörner hüpfen auf dem vollgesogenen Rasen auf und ab. Ich denke an Dreyfus’ Schilderungen der nicht enden wollenden tropischen Regengüsse.
Ich höre das Rascheln von Seide und rieche Parfümduft, und plötzlich steht Pauline neben mir. Sie schaut mich nicht an, sondern lässt ihren Blick über den düsteren Garten schweifen. Mit der rechten Hand halte ich die Zigarre, meine linke Hand hängt locker herunter. Wie ein Hauch streicht ihr rechter Handrücken über meine Hand. Es fühlt sich an, als berührten sich nur die Härchen. Für jemand, der uns jetzt von hinten sehen würde, wären wir nur zwei alte Freunde, die sich zusammen den Sturm anschauen. Aber ihre Nähe ist fast überwältigend. Keiner von uns sagt ein Wort. Und dann fliegt krachend die Terrassentür auf. »Hoffentlich ist das Wetter besser, wenn nächste Woche die kaiserlichen Majestäten kommen!«, sagt Monnier mit dröhnender Stimme.
Pauline hebt die Hand und streicht sich beiläufig eine Haarsträhne aus der Stirn. »Hast du viel damit zu tun, Georges?«
»Nein, kaum.«
»Er ist zu bescheiden, wie üblich«, wirft Monnier ein. »Ich weiß, wie ihr bei den ganzen Sicherheitsvorkehrungen mitgemischt habt.«
»Wirst du Gelegenheit haben, den Zaren persönlich kennenzulernen?«, fragt Pauline.
»Dafür muss man es mindestens zum General gebracht haben.«
»Aber die Parade, die können Sie sich doch anschauen, oder, Picquart?«, sagt Monnier.
Ich ziehe heftig an meiner Zigarre und wünschte, er würde wieder verschwinden. »Ich könnte, wenn ich Lust dazu hätte. Der Kriegsminister hat im Palais Bourbon Plätze für meine Offiziere und ihre Frauen reserviert.«
»Aber du gehst natürlich nicht hin«, sagt Pauline aufgekratzt und tut so, als schlüge sie mir auf den Arm. »Du elender Republikaner!«
»Ich habe keine Frau.«
»Kein Problem«, sagt Monnier. »Du kannst dir meine ausleihen.«
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Und so drängeln sich Pauline und ich am Dienstagmorgen die Stufen des Palais Bourbon hinauf zu unseren reservierten Plätzen, wo ich feststelle, dass jeder Offizier der Statistik-Abteilung die Einladung des Ministers wahrgenommen und seine Frau mitgebracht hat – oder wie Gribelin seine Mutter. Als wir auftauchen, versuchen sie erst gar nicht, ihre Neugier zu verbergen. Zu spät wird mir klar, was für ein Bild wir abgeben – der unverheiratete Chef führt seine verheiratete Geliebte aus. Ich stelle ihnen Pauline sehr förmlich vor und betone ihre soziale Stellung als die Frau meines guten Freundes Philippe Monnier vom Quai d’Orsay. Aber das macht alles nur noch verdächtiger. Obwohl Henry sich kurz verbeugt und Lauth mir zunickt und die Hacken zusammenschlägt, muss sich Berthe Henry, die Wirtstocher mit dem Dünkel des Parvenüs, geradezu überwinden, Pauline die Hand zu geben. Madame Lauth wendet sich mit verächtlich gekräuselten Lippen gleich ganz ab.
Pauline macht das anscheinend nichts aus. Wir haben einen perfekten Blick: geradeaus über die Brücke und die Seine zu dem einen halben Kilometer entfernten Obelisken auf der Place de la Concorde. Die Sonne scheint, aber es ist windig. Die
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