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Intrige (German Edition)

Intrige (German Edition)

Titel: Intrige (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robert Harris
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rechtfertigen, Herr Hauptmann. Aber ich habe Neuigkeiten für den Minister.«
    »Leider ist er gerade erst aus Châteauneuf zurückge kehrt. Er hat sehr viel zu tun und ist auch ziemlich erschöpft. Könnten Sie vielleicht am Montag wieder vorbeischauen?« Wenigstens hat er so viel Anstand, ein verlegenes Gesicht zu machen.
    »Es dauert nicht lange.«
    »Trotzdem …«
    »Ich warte.« Ich lasse mich auf einer der roten Lederbänke nieder.
    Er schaut mich unsicher an. »Vielleicht frage ich noch ein mal nach.«
    »Das wäre vielleicht besser.«
    Mit stampfenden Schritten geht er wieder die Marmor treppe hoch. Seine Stimme hallt von den Steinwänden wider, als er kurz danach zu mir herunterruft. »Oberstleutnant Picquart!«
    Billot sitzt an seinem Schreibtisch. »Picquart«, sagt er und hebt müde eine Hand. »Tut mir leid, aber ich bin sehr beschäftigt.« Allerdings kann ich keinerlei Anzeichen von Beschäftigung erkennen. Ich vermute, dass er einfach nur aus dem Fenster geschaut hat.
    »Verzeihung, Herr Minister, ich werde Sie nicht lange auf halten. Aber angesichts der Zeitungsgeschichten fühle ich mich genötigt, Sie zu einer Entscheidung zu drängen, wie es mit der Esterházy-Untersuchung weitergehen soll.«
    Billot hebt die buschigen, weißen Augenbrauen und schaut mich misstrauisch an. »Welchen Aspekt der Untersuchung meinen Sie genau?«
    Ich fange an, ihm Desvernines und meinen Plan zu erklären, Esterházy mit einer scheinbar von Schwartzkoppen stammenden Botschaft zu einem Treffen zu locken, aber er schneidet mir gleich das Wort ab. »Nein, nein, das gefällt mir ganz und gar nicht, das ist viel zu plump. Ich glaube inzwischen, dass die schnellste Methode, wie wir dieses Schwein loswerden können, die ist, ihn überhaupt nicht strafrechtlich zu verfolgen, sondern einfach in den Ruhestand zu versetzen. Entweder das, oder wir versetzen ihn irgendwohin ans Ende der Welt – nach Indochina oder Afrika, was weiß ich –, vorzugsweise in ein Land, wo man sich eine ganz besonders üble Krankheit einfangen kann oder eine Kugel, ohne dass sich irgendjemand darum schert.«
    Ich weiß nicht, wie ich auf diesen Vorschlag reagieren soll, also gehe ich nicht darauf ein. »Und was machen wir mit Dreyfus?«
    »Er bleibt einfach da, wo er ist. Das Urteil ist gesprochen, und damit Schluss.«
    »Dann haben Sie Ihre Entscheidung also schon getroffen?«
    »Ja. Vor der Parade in Châteauneuf hatte ich die Gelegenheit, das Thema mit General Mercier unter vier Augen zu erörtern. Er ist eigens mit dem Automobil aus Le Mans gekommen, um die Sache zu besprechen.«
    »Das glaube ich gern!«
    »Seien Sie vorsichtig, Herr Oberstleutnant! …« Billot zeigt mit dem Finger auf mich. Bis jetzt hat er mich immer dazu ermuntert, die Grenzen der Insubordination auszuloten. Es hat ihm Spaß gemacht, den nachsichtigen Familienpatron zu spielen. Wie mit dem Zugang zum Garten ist es also auch mit diesem Privileg vorbei.
    Trotzdem kann ich mich nicht zurückhalten. »Aber Sie wissen doch, dass nichts in diesem Geheimdossier eine Schuld von Dreyfus belegt, dass es vielleicht sogar glatte Lügen enthält.«
    Billot legt sich die Hände auf die Ohren. »Es gibt Dinge, die ich lieber nicht hören sollte, Herr Oberstleutnant.«
    Er sieht aus, wie störrische alte Männer manchmal aussehen: albern, ein schmollendes Kind in einer Kinderkrippe.
    »Ich kann ziemlich laut werden«, sage ich.
    »Das ist mein Ernst, Picquart! Ich darf mir das nicht anhören!« Seine Stimme ist schrill. Erst als er sich sicher ist, dass ich seine Ohren nicht mehr besudele, nimmt er die Hände herunter. »Also, führen Sie sich nicht auf wie ein arroganter, dummer Kindskopf, und hören Sie mir zu.« Seine Stimme klingt jetzt versöhnlich und vernünftig. »General Boisdeffre wird bald den Zaren in Paris empfangen, das ist ein diplomatischer Coup, der die Welt verändern wird. Und ich muss mit dem Finanzausschuss über einen Haushalt von sechshundert Millionen Francs verhandeln. Wir können es uns einfach nicht leisten, dass uns diese schäbige Geschichte, dieser eine Jude auf seinem Felsen, von den wichtigen Themen ablenkt. Das würde die Armee zerreißen. Man würde mich aus dem Amt jagen – und zwar zu Recht. Man muss doch die Verhältnismäßigkeit im Auge behalten. Verstehen Sie, was ich damit sagen will, Herr Oberstleutnant?«
    Ich nicke.
    Er erhebt sich mit erstaunlicher Geschmeidigkeit, geht um den Schreibtisch herum und bleibt vor mir stehen. »Calmon-Maison sagt,

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