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Intrige (German Edition)

Intrige (German Edition)

Titel: Intrige (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robert Harris
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sein muss.«
    Während wir durch die Gänge eilen, klärt Louis mich auf. »General Pellieux ist im Zeugenstand und versucht deine Aussage zu zerpflücken. Er behauptet, dass Esterházy den Bordereau unmöglich geschrieben haben kann, weil er zu Informationen dieser Geheimhaltungsstufe gar keinen Zu gang hatte.«
    »Das ist Unsinn«, sage ich. »Das habe ich doch gestern alles erklärt. Außerdem, was hat Pellieux damit zu tun? Warum nimmt zu diesem Aspekt des Falles nicht Gonse Stellung, oder Henry?«
    »Ist dir das noch nicht aufgefallen? Sie überlassen das jetzt alles Pellieux. Er ist das einzige respektable Sprachrohr, das sie noch haben. Er ist nicht so vorbelastet wie die anderen.« Vor der Tür zum Gerichtssaal bleibt er stehen und sieht mich an. »Du weißt schon, was das bedeutet, Georges, oder?«
    »Was denn?«
    »Sie schlagen sich in die Büsche. Zum ersten Mal haben sie wirklich Angst, dass sie verlieren könnten.«
    Pellieux steht im Zeugenstand und kommt gerade zum Schluss seiner Ansprache. Er wendet sich wie ein Anwalt direkt an die Geschworenen. Louis und ich bleiben hinten stehen und hören zu. »Meine Herren«, ruft er und pocht sich auf die Brust. »Hier schlägt das Herz eines Soldaten, und dieses Herz ist empört über die infamen Lügen, die über uns Soldaten verbreitet werden. Es ist verbrecherisch, der Armee das Vertrauen in ihre Führung zu nehmen. Wie, glauben Sie, wird diese Armee sich in der Stunde der Gefahr schlagen – die uns vielleicht schon früher droht, als Sie ahnen? Wie, glauben Sie, wird sich der einfache Soldat verhalten, wenn solche Dinge über seine Kommandanten erzählt werden? Ihre Söhne, meine Herren Geschworenen, werden hingemetzelt werden. Aber Monsieur Zola wird eine weitere Schlacht gewonnen haben, er wird eine Fortsetzung von Der Zusammenbruch schreiben, er wird die französische Sprache in die Welt tragen und überall in Europa verbreiten – nur dass Frankreich von der Landkarte Europas verschwunden sein wird!«
    In dem Teil des Zuschauerraums, in dem die Offiziere der Armee sitzen, bricht Jubel aus.
    Pellieux hebt einen Finger, der sie zum Schweigen bringt. »Noch ein Wort, meine Herren. Wir wären froh gewesen, wenn man Dreyfus vor drei Jahren freigesprochen hätte. Es wäre der Beweis gewesen, dass wir in der französischen Armee keinen Verräter haben. Das jüngste Kriegsgericht war aber nicht gewillt hinzunehmen, dass ein unschuldiger Mann anstelle von Dreyfus belangt wird, egal ob Dreyfus schuldig war oder nicht. Damit ist alles gesagt.«
    Unter dem erneut aufbrandenden Beifall des Generalstabs verlässt er den Zeugenstand. Ich gehe nach vorn, vorbei an Gonse und Henry, die stehend applaudieren. Pellieux schreitet zu seinem Platz zurück wie ein Preisboxer, der gerade einen Kampf gewonnen hat, und ich trete zur Seite, um ihn vorbeizulassen. Seine Augen leuchten. Er bemerkt mich erst, als er unmittelbar neben mir ist, und sagt aus dem Mundwinkel: »Ihr Auftritt.«
    •
    Zu Laboris großem Ärger verkündet der Richter, dass es inzwischen zu spät sei, mich noch aufzurufen, und vertagt meine Aussage auf den nächsten Sitzungstag. Ich werde zur Festung Mont-Valérien zurückgebracht und verbringe eine schlaflose Nacht, in der ich dem Wind lausche und in den frühen Morgenstunden lange zu dem Leuchtfeuer an der Spitze des Eiffelturms hinüberschaue, das strahlend wie ein roter Planet am Himmel über Paris steht.
    Am nächsten Tag trete ich wieder vor die Richterbank und werde von Labori befragt. »General de Pellieux hat gestern behauptet, dass Major Esterházy sich die in dem Bordereau aufgelisteten Schriftstücke gar nicht hätte besorgen können. Was sagen Sie dazu?«
    Vorsichtig beginne ich zu sprechen. »Manche Dinge, die ich zu sagen habe, werden vielleicht im Widerspruch zu dem stehen, was General de Pellieux gesagt hat, aber ich halte es für meine Pflicht, nach bestem Wissen auszusagen. Der wesentliche Punkt ist der, dass die in dem Bordereau aufgeführten Schriftstücke von viel geringerer Bedeutung sind, als man die Leute glauben machte.«
    Wieder bemühe ich mich um eine juristisch korrekte Wortwahl. Ich weise darauf hin, dass mit dem Bordereau vermutlich Informationen aus fünf Bereichen weitergegeben wurden. Davon waren aber vier gar keine Dokumente i n strengem Sinn, sondern einfach Mitteilungen, die keinerlei internes Wissen über den Generalstab erforderten: Mitteilungen über die hydraulische Bremse eines 1 2 0-Millimeter-Geschützes, über

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