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Intrige (German Edition)

Intrige (German Edition)

Titel: Intrige (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robert Harris
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aus der Anklageschrift verlesen, die eigentlich nicht für die Öffentlichkeit bestimmt war. Nun, wie Oberstleutnant Henry sich ausdrückt: Sie wollen wissen, was gespielt wird? Können Sie haben! Im November 96 erhielt das Kriegsministerium Kenntnis von einem sicheren Beweis für Dreyfus’ Schuld. Diesen Beweis habe ich gesehen. Es ist ein Schriftstück, dessen Herkunft unanfechtbar ist. Es enthält unter anderem die folgenden Sätze: ›Ein Mitglied der Abgeordnetenkammer wird Fra gen über den Fall Dreyfus stellen. Bestreiten Sie, dass wir jemals in Kontakt mit diesem Juden standen.‹ Meine Herren, ich stehe zu dieser Erklärung bei meiner Ehre, und ich fordere General Boisdeffre auf, meine Aussage zu bestätigen.«
    Im ganzen Gerichtssaal ziehen Menschen hörbar die Luft ein, was dann in leises Gemurmel übergeht, als sie sich ihren Nachbarn zuwenden, um zu diskutieren, was das jetzt zu bedeuten habe. Wieder schaut Labori mich verblüfft an. Ich brauche ein paar Sekunden, bis ich begreife, dass Pellieux sich auf den angeblich aus der deutschen Botschaft stammenden Brief bezieht, den Billot mir vorgelesen, aber nicht gezeigt hat, und der passenderweise auftauchte, kurz bevor man mich aus Paris fortschickte. Ich nicke Labori heftig zu und mache mit beiden Händen eine zupackende Geste. Pellieux hat sich einen weiteren Schnitzer erlaubt. Labori muss die Gelegenheit nutzen, bevor es zu spät ist. Er steht auf.
    Gonse erkennt zwar die Gefahr, springt auf, eilt nach vorn. »Ich bitte ums Wort«, ruft er dem Richter besorgt zu. Aber Labori ist schneller.
    »Entschuldigen Sie, Herr General, aber ich habe das Wort. Ein Vorfall von außerordentlicher Tragweite hat sich gerade ereignet. Nach einer solchen Erklärung kann es keine Beschränkung der Debatte mehr geben. Ich weise General Pellieux darauf hin, dass kein Schriftstück als gesicherter Beweis gelten kann, wenn es vorher nicht öffentlich behandelt wurde. General Pellieux möge sich rückhaltlos erklären und das Schriftstück vorlegen.«
    »Was haben Sie zu sagen, General Gonse?«, fragt der Richter.
    Gonse’ Stimme ist so schrill, sie klingt, als würde er stranguliert. »Ich bestätige die Aussage von General Pellieux. Er hat die Initiative ergriffen, und er hatte recht damit. Ich hätte an seiner Stelle genauso gehandelt.« Nervös fährt er mit den Händen an seiner Hosennaht auf und ab. Er gibt ein jämmerliches Bild ab. »Die Armee fürchtet sich nicht davor, mit offenen Karten zu spielen. Sie fürchtet sich nicht, die Wahrheit auszusprechen, wenn ihre Ehre auf dem Spiel steht. Aber Besonnenheit ist vonnöten, und ich glaube nicht, dass Beweise von dieser Art, obwohl sie existieren und unwiderlegbar sind, hier vorgelegt und der Öffentlichkeit zugänglich gemacht werden können.«
    Pellieux wiederholt schroff seine Forderung. »Ich verlange, General de Boisdeffre zu holen, damit er meine Worte bestätigt.« Er ignoriert den Richter und den unglückseligen Gonse und ruft nach seinem Adjutanten, der im Gang steht. »Major Delcassé, nehmen Sie sich eine Kutsche, und bringen Sie auf der Stelle General de Boisdeffre her.«
    •
    In der Pause kommt Labori zu mir nach vorn. »Von was für einem Schriftstück redet der?«, flüstert er.
    »Das kann ich Ihnen nicht sagen, jedenfalls nicht die Ein zelheiten. Das würde meine Geheimhaltungspflicht ver letzen.«
    » Irgendetwas müssen Sie mir an die Hand geben, Herr Oberstleutnant. Der Chef des Generalstabs kann jeden Moment da sein.«
    Ich schaue hinüber zu Pellieux, Gonse und Henry, die mich gar nicht beachten, so sehr sind sie in ihre eigene Unterhaltung vertieft. »Eines kann ich Ihnen auf jeden Fall sagen: Sie verfolgen eine Taktik, die ziemlich waghalsig ist. Ich glaube nicht, dass Gonse und Henry sehr glücklich über die Lage sind, in die sie da geraten sind.«
    »Was schlagen Sie vor, wie soll ich vorgehen, wenn ich gleich Boisdeffre im Zeugenstand habe?«
    »Verlangen Sie, dass er das Schriftstück ganz vorliest. Verlangen Sie die Genehmigung, es forensisch untersuchen zu lassen. Verlangen Sie eine Erklärung, warum sie diesen angeblich sicheren Beweis für Dreyfus’ Schuld erst zwei Jahre nach seiner Verbannung auf die Teufelsinsel entdeckt haben.«
    •
    Beifall und Jubel im Flur vor dem Gerichtssaal melden Bois deffres Ankunft. Die Tür wird aufgestoßen. Mehrere Or donnanzoffiziere eilen herein, dann betritt der große Mann höchstpersönlich den Saal und geht langsam bis zum Richtertisch: groß und

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