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Intrige (German Edition)

Intrige (German Edition)

Titel: Intrige (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robert Harris
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Eindruck …
    »Erinnern Sie sich noch?«, unterbricht mich der Kriegs minister und wendet sich an Boisdeffre. »Früher hieß es, Jean Sandherr sei der attraktivste Mann in der französischen Armee.«
    »Ja, ich erinnere mich, Herr Minister«, sagt der Chef des Generalstabs. »Kaum zu glauben, wenn man ihn jetzt sieht. Armer Kerl.«
    Auf der einen Seite von Sandherr stand sein Stellvertreter, ein fetter Alkoholiker mit ziegelsteinrotem Gesicht, der regelmäßig einen Schluck aus seinem metallisch graublauen Flachmann nahm, auf der anderen Seite das einzige Mitglied seines Stabs, das ich vom Sehen kannte, der massige Hauptmann Hubert-Joseph Henry. Er klopfte mir auf die Schulter und gab mit dröhnender Stimme seiner Hoffnung Ausdruck, dass ich ihn in meinem Bericht an den Minister erwähnen würde. Die beiden rangniedrigeren Offiziere der Abteilung, beides Hauptleute, sahen dagegen vergleichsweise farblos aus. Zu der Gruppe gehörte auch ein Zivilist, ein knochendürrer Angestellter, der ein Opernglas in der Hand hielt und aussah, als käme er nur selten an die frische Luft. Sie machten mir Platz, und der Alkoholiker bot mir einen Schluck von seinem billigen Kognak an. Kurz darauf gesellten sich zwei weitere Außenstehende zu uns, ein eleganter Beamter aus dem Außenministerium und Major Armand du Paty de Clam vom Generalstab, ein irritierender Einfaltspinsel, dessen Monokel im Morgenlicht wie eine leere Augenhöhle blinkte.
    Inzwischen war es fast so weit, und man konnte spüren, dass die Spannung unter dem unheilvoll blassen Himmel anstieg. Fast viertausend Soldaten waren angetreten, und doch machten sie nicht das geringste Geräusch. Sogar die Menschenmenge war verstummt. Die einzige Bewegung war an den Rändern der Cour Morland auszumachen, wo noch einige geladene Gäste, in Eile und sich wie verspätete Nachzügler bei einer Beerdigung entschuldigend, zu ihren Plätzen geführt wurden. Eine winzige, schlanke Frau, die eine weiße Pelzkappe, einen Muff und einen rüschenbesetzten Schirm trug und von einem groß gewachsenen Dragonerleutnant begleitet wurde, war von einigen Zuschauern direkt hinter den Absperrungen erkannt worden, und ein leises Prasseln klatschender Hände sowie vereinzelte Hurras und Bravos wehten über den harten Matsch.
    Sandherr hob den Kopf. »Wer zum Teufel ist das?«, grummelte er.
    Einer der Hauptleute ließ sich von dem Angestellten das Opernglas geben und richtete es auf die Dame im Pelz, die jetzt huldvoll der Menge zunickte und mit ihrem Schirm winkte.
    »Ich will verflucht sein, wenn das nicht Sarah die Göttliche ist!« Er stellte die Schärfe etwas nach. »Und das ist Rochebouët vom Achtundzwanzigsten, dieser verdammte Glückspilz!«
    Mercier lehnt sich zurück und streichelt seinen weißen Schnurrbart. Sarah Bernhardt bei seiner Inszenierung, das ist der Stoff, den er von mir haben will: künstlerisches Flair, Gesellschaftstratsch. Trotzdem spielt er den Ungehaltenen. »Ich kann mir nicht vorstellen, dass jemand eine Schauspielerin einladen würde …«
    Zehn vor neun ritt der Kommandant der Parade, General Darras, auf dem Kopfsteinpflasterpfad zur Mitte des Exerzierplatzes. Das Pferd des Generals schnaubte und neigte den Kopf, als der General es anhielt. Er ließ es sich einmal um die eigene Achse drehen, wobei es die riesige Menschenmenge beäugte. Dann stampfte das Pferd einmal auf den harten Boden auf und blieb still stehen.
    Um neun begann die Uhr zu schlagen, und es ertönte das Kommando: »Kompanien! Stillgestanden!« In donnerndem Gleichklang schlugen die Stiefel von viertausend Männern zusammen. Im gleichen Augenblick erschienen am äußersten Rand des Exerzierplatzes fünf Gestalten und gingen auf den General zu. Als sie näher kamen, verwandelten sich die verschwommenen Umrisse in eine Eskorte aus vier Artilleristen, die den verurteilten Mann auf den Platz begleiteten. Sie marschierten zügig und so perfekt aufeinander abgestimmt, dass der rechte Stiefel genau bei jedem fünften Schritt zusammen mit einem Glockenschlag auf den Boden traf. Nur einmal stolperte der Gefangene, fand aber schnell wieder in den Gleichschritt zurück. Als das Echo des letzten Schlags verklungen war, blieben sie stehen und salutierten. Dann machten die Artilleristen kehrt und marschierten davon. Der Verurteilte stand jetzt allein vor dem General.
    Trommelwirbel. Eine Hornfanfare. Ein Beamter trat vor und hob wie ein Herold in einem Theaterstück ein Schrift stück auf Gesichtshöhe. Die Worte

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