Intruder 4
machte mit der anderen eine einladende Geste. Der Fahrer schien irgendwie zu entmaterialisieren und im gleichen Sekundenbruchteil hinter 44
dem Steuer wieder aufzutauchen; ein Trick, den man bei den hier herrschenden Temperaturen einfach beherrschen musste, wie Mike einen Augenblick später begriff. Als er nämlich den Fehler beging, die Hand nach dem Türgriff auszustrecken, verbrannte er sich kräftig die Finger.
Im Inneren des Pick-ups war es überraschend kühl. Die Kiste sah zwar aus, als wäre sie schon mit der Mayflower in dieses Land gekommen, verfügte aber über eine Klimaanlage, die zwar heftig klapperte und schnarrte, jedoch trotzdem für einen erfrischenden Luftstrom sorgte.
Stefan und Mike nahmen auf den beiden hinteren Sitzen Platz, während Frank sich schnaufend auf den Beifahrersitz hievte und die Tür mit solcher Vehemenz hinter sich zuzog, dass der ganze Wagen zitterte. Neben dem kleinwüchsigen Indianer sah er noch größer und beeindruckender aus als sonst.
Der Anblick löste ein seltsames Gemisch von Emotionen in Mike aus. Franks Nähe hatte immer beruhigend auf ihn gewirkt; schon als sie Kinder waren. Es gab überhaupt keinen Grund dafür. Trotz seiner Größe und unbestrittenen Kraft war Frank alles andere als ein Schläger. Im Gegenteil, er war einer der friedlichsten Menschen, die Mike kannte. Frank hatte es niemals nötig gehabt, anders als »verbal« gewalttätig zu werden. Seine schiere Masse und vor allem die unerschütterliche Ruhe, die er ausstrahlte, schüchterten die meisten Menschen derart ein, dass sie sich hüteten, in seiner Gegenwart irgendetwas Unüberlegtes zu tun. Was zählte, war nicht das, was er möglicherweise tun würde, sondern das, was er tun könnte. So lange sich Mike erinnern konnte, hatte er dieses Gefühl der Sicherheit in seiner Nähe verspürt. Vielleicht war es sogar der Grund für ihre Freundschaft gewesen, auf jeden Fall aber die Keimzelle, aus der sich der Rest entwickelt hatte. Er hatte sich von diesem Gefühl genährt wie ein Vampir, dessen Opfer nicht einmal merkt, dass es ausgesaugt wird.
Nun war es verschwunden. Die vergangene Nacht hatte alles 45
geändert. Er war geprügelt worden - nein: »übel zusammenge-schlagen« traf es schon eher -, und Frank war nicht da gewesen, um das Verspreche n einzulösen, das Mike ihm ohne sein Wissen vor so vielen Jahren auferlegt hatte. Das war weder fair noch logisch, aber seit wann scherten sich Gefühle um Logik?
Der Motor des Pick- ups erwachte mit genau dem Geräusch zum Leben, das Mike erwartet hatte - einem schweren, klap-pernden Dieseln, das an ausgeschlagene Kolbenringe und klemmende Ventile erinnerte und bis in die Zahnwurzeln hinauf zu spüren war -, und der Wagen setzte sich in Bewegung. Mike reckte den Hals, um das silberne Funkeln in der Wüste auszumachen, aber es war, zumindest von ihrer Position aus, nicht zu sehen. Kein Grund zur Sorge, dachte er. Der Lonesome Rider hatte sich bisher so große Mühe gegeben, sie seine Spur nicht verlieren zu lassen, dass er auch weiterhin dafür sorgen würde. Warum auch immer.
Der Wagen verließ den Parkplatz und knallte schon nach den ersten zwei Metern in ein Schlagloch, das ihre Motorräder in alle Einzelteile zerlegt hätte und Mike unsanft in den Sitz stampfte. Er spürte jede der uralten Federn, auf denen er saß.
Seine Zähne schlugen schmerzhaft aufeinander.
Und das war erst der Anfang.
Die Strecke, die sie in - wie es Mike vorkam - halsbrecheri-schem Tempo zurücklegten, war nicht so schlimm, wie sie ausgesehen hatte. Sie war schlimmer. Der Wagen hüpfte durch Schlaglöcher und über Felsbuckel und knallte mehr als einmal mit der Bodenplatte auf. Mike wurde auf dem durchgesessenen Sitz so gründlich hin- und hergeworfen und durchgerüttelt, dass er schon nach einer Minute heilfroh war, an diesem Morgen nicht ausgiebig gefrühstückt zu haben. Ihr Fahrer -
wahrscheinlicher aber Frank, der direkt vor Mike saß - hätte sein Frühstück im Nacken gehabt, noch bevor sie die erste Viertelmeile hinter sich gebracht hatten.
Frank und Stefan schienen diese Schüttelpartie aus unerfind-46
lichen Gründen lustig zu finden. Sie kicherten und lachten nicht nur ununterbrochen, sondern brachten sogar irgendwie die Energie auf, ein Gespräch mit ihrem Chauffeur in Gang zu setzen, von dem Mike zwar kein Wort verstand, das aber äußerst ausgelassen klang. Hysterie, entschied Mike. Das war pure Hysterie. Niemand brachte so viel Unverschämtheit auf, in einer
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