Intruder 6
blieb stehen, bis er das Geräusch hörte, mit dem sich der Schlüssel hinter ihm drehte, dann ließ er sic h auf die Bettkante sinken, lehnte Rücken und Kopf gegen die harte, unverputzte Betonwand und versuchte in eine einigermaßen erträgliche Stellung zu gelangen. Es blieb bei dem Versuch. Selbst wenn er nicht gefesselt gewesen wäre, hätte er wohl kaum Entspan-nung gefunden. Hinter seiner Stirn wirbelten die Gedanken noch immer durcheinander.
Und das blieb so für die nächste Zeit. Wie lange es dauerte, wusste er nicht, aber es kam ihm wie eine Ewigkeit vor, und er hätte hinterher nicht sagen können, woran er gedacht hatte.
Vermutlich an alles und gar nichts. Als sich der Schlüssel endlich wieder im Schloss drehte und ein Beamter kam, um ihn abzuholen, nahm er das kaum wahr. Erst als der Mann ihn in unwirschem Ton anfuhr und den Arm ausstreckte, um ihn grob vom Bett in die Höhe zu ziehen, erwachte er aus dem trance-
ähnlichen Zustand, in dem er sich befunden hatte und sprang hastig auf die Füße.
Willenlos ließ er sich abführen. Er war jetzt nicht mehr in Panik, ja, er hatte kaum noch Angst. Der Zustand, in dem er sich befand, war beinahe noch erschreckender: eine Mischung aus Resignation, Verzweiflung und einer Art selbstmörderi-schem Fatalismus, die ihm bis zu diesem Moment völlig fremd gewesen war. Es schien ihm nicht nur egal zu sein, was mit ihm geschah. Auf eine perfide Art erwartete er noch weiteres und größeres Unheil, und er war fast sicher, dass er sogar enttäuscht sein würde, wenn dieses sich nicht einstellte.
Sie betraten ein großes, überraschend helles und modern, ja, fast schon luxuriös eingerichtetes Büro. Jennings saß an einem wuchtigen Schreibtisch, der bis auf eine lederne Schreibunter-lage und ein flaches Telefon vollkommen leer war, und befrag-te mit ernstem Gesicht und in Englisch den vor ihm sitzenden Frank. Stefan saß dagegen auf einem unbequemen Sche mel direkt unter dem Fenster. Auch seine Hände steckten in Handschellen, waren aber wenigstens nicht auf den Rücken gebunden.
Als Mike eintrat, hielt Stefan seinem Blick nur eine halbe Sekunde Stand, dann senkte er hastig den Kopf und begann, mit den Füßen zu scharren. Frank unterbrach sein Gespräch mit Jennings, sah rasch zu ihm hoch und musterte ihn auf eine Weise, die Mike einen eisigen Schauer über den Rücken laufen ließ. Seine selbstzerstörerische Vorfreude hatte ihn nicht getrügt. Es war etwas Schlimmes geschehen. Ein einziger Blick in Franks Augen reichte, um ihm das zu beweisen.
Jennings machte eine wortlose Kopfbewegung auf den freien Stuhl direkt neben Frank und bedeutete Mikes Bewacher ebenso schweigend, den Raum zu verlassen. Mike wandte sich nicht zu ihm um, aber er spürte, dass der Mann zögerte und offensichtlich überrascht war. Erst als Jennings seine Geste unwilliger wiederholte, hörte er, wie die Tür hinter ihm ins Schloss fiel.
»Wie geht es dir?«, fragte Frank.
»Wie schon?«, erwiderte Mike. »Ich habe mich schon besser gefühlt. Was ist los, Frank? Was geht hier vor?«
»Das versuche ich, Detective Jennings gerade zu erklären«, antwortete Frank. »Ich fürchte nur, er glaubt mir nicht so recht.«
»Das habe ich nicht gesagt, Herr Winter«, antwortete Jennings nun ebenfalls auf Deutsch, wohl, damit Mike nicht ausgeschlossen blieb. »Aber Sie müssen gestehen, dass die Geschichte, die Sie mir da aufgetischt haben, ziemlich fantastisch klingt. Ich werde sie überprüfen müssen.«
»Ich habe Ihnen Strongs Handy-Nummer doch gegeben, oder?«
»Sicher«, erwiderte Jennings ruhig. »Einer meiner Leute versucht auch gerade, ihn zu kontaktieren. Aber mit einem reinen Telefongespräch wird es nicht getan sein. Das verstehen Sie doch, oder?«
Er wandte sich direkt an Mike. »Sie sehen nicht gut aus.
Fühlen Sie sich nicht wohl? Soll ich Ihnen ein Glas Wasser bringen lassen? Oder brauchen Sie einen Arzt?«
»Nein«, antwortete Mike. »Das Einzige, was ich brauche, ist eine Antwort auf die Frage, was hier eigentlich los ist, verdammt.«
Jennings sah ihn fast eine geschlagene Minute lang auf sonderbare Weise an. Dann drückte er einen Knopf auf seinem Telefon. Praktisch im gleichen Sekundenbruchteil ging die Tür hinter Mikes Rücken auf, und der Polizeibeamte, der ihn begleitet hatte, trat ein. Jennings wechselte ein paar Worte mit ihm - es war nicht unbedingt ein Streit, aber doch eine scharfe Diskussion, zumindest so viel bekam Mike mit -, dann zog der Mann einen
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