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Intrusion

Intrusion

Titel: Intrusion Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Will Elliott
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Nacht erwachte ich hier aus einem Bilderrahmen …«
    Er brach mitten im Satz ab, als er ihren Gesichtsausdruck bemerkte. »Du bist eines ihrer Geschöpfe?« Charm lachte ungläubig. »Warte! Du bist aus einem Bilderrahmen erwacht? Heute Nacht? «
    »Ja doch. Ist das hier in der Gegend nicht normal?«
    Ihre Fingernägel bohrten sich in sein Fleisch, als sie ihn hart am Arm packte. »Bist du in diesen Wäldern erwacht?«
    »Nein. In einem fremden Haus. Ich bin auf der Suche nach einer gewissen Muse. Sie hat mich erschaffen.«
    Charm musterte ihn lange wortlos von Kopf bis Fuß. »Eines von Muses Werken«, sagte sie schließlich kopfschüttelnd. Das Lächeln, das über ihre Züge huschte, gefiel Aden ganz und gar nicht. »Na, dann komm! Komm mit!«
    »Du hast mir noch nicht verraten, wohin wir gehen.«
    Wieder lachte sie. »Wir besuchen unsere Mutter.«
    »Unsere Mutter?«
    »Weißt du eine bessere Bezeichnung für sie? Sie hat uns beide erschaffen. Und …« Charm hielt den Kopf schräg und horchte. Nicht weit entfernt knackte ein Zweig. »Da ist sie«, flüsterte Charm. Aufgeregt nahm sie seine Hand und gab ihm durch eine Geste zu verstehen, leise zu sein. Sie führte ihn einen schmalen Pfad entlang. Kalte Tropfen fielen von den taunassen Blättern, die sie streiften. Sie kauerten im Schutz eines dicken Eichenstamms nieder. Die Aura, die Charm umgab, war jetzt so schwach, dass man sie für eine unnatürliche Blässe ihrer Haut halten konnte.
    Die herannahenden Schritte waren so leicht, dass sie erschraken, als die Frau plötzlich ganz nahe an ihnen vorüberging. Charm presste sich eng an die Rinde, um ihren schwachen Glanz abzuschirmen.
    Muse stieß mit ihren Lederstiefeln Zweige und Laub beiseite und warf keinen Blick zu ihnen herüber. Aden erspähte sie kurz im Sternenlicht. Sie war groß und hatte das graue Haar zu einem Pferdeschwanz zusammengebunden. Sie trug eine lange Hose und darüber ein knielanges Kleid mit Kapuze.
    Sie hatte einen stolzen Gang und fand ihren Weg durch das Dunkel, als wäre sie ihn unzählige Male gegangen. Muse hielt einen flachen rechteckigen Gegenstand in den Armen, der mit einem schwarzen Tuch aus Samt umhüllt war. Es handelte sich eindeutig um eine Leinwand, die etwa die gleiche Größe hatte wie der Bilderrahmen, aus dem sich Aden gelöst hatte. Muse streckte ihn weit von sich, als käme es sie hart an, ihn überhaupt anzufassen.
    Als sie sich ein gutes Stück von ihnen entfernt hatte, flüsterte Aden: »Das ist sie?«
    »Unsere Mutter«, wisperte Charm. Als sie seinen Blick sah, fügte sie hinzu: »Wie sollen wir sie sonst nennen?«
    »Sie hat dich auch erschaffen?«
    »Natürlich. Oder komme ich dir normal vor?«
    »Wohin geht sie?«
    »Wo sie seit neun Nächten hingeht. Morgen wird sie wieder zurück sein. Auf eine mondbeschienene Lichtung. Komm! Aber sei leise! So tief in den Wäldern erwachen mitunter die Bäume und beginnen zu sprechen. Ich sage dir das vorher, damit du nicht erschrickst und aufschreist, wenn es geschieht. Bleib ruhig, was immer wir sehen oder hören werden!«
    Charm führte ihn durch das Gewirr von Stämmen. Der Waldboden war weich und federte unter seinen Sohlen. »Sie will die Welt umbringen!« Charms Raunen klang erregt, und sie umklammerte seine Hand fester. »Warte ab! Warte ab, bis du siehst, was sie da mitschleppt! Sie will die Gemälde zum Leben erwecken und auf den Rest der Menschheit loslassen. So wie sie es mit uns gemacht hat.«
    Aden schien es, als hätten sie in dem Labyrinth der Bäume Muses Spur verloren. Aber unvermittelt blieb Charm stehen, hob eine Hand und hauchte: »Da!« Eine Lichtung lag vor ihnen. Die Frau namens Muse stand in ihrer Mitte, umringt von säulengleichen Bäumen, die hoch über das Dach des Waldes aufragten. Durch die kreisförmige Öffnung im Geflecht der Baumkronen sickerte Mond- und Sternenlicht.
    Neun Gemälde lehnten an den Sockeln dieser Baumsäulen.
    Als hätte Charm gespürt, dass er Luft zum Sprechen holte, legte sie warnend einen Finger an die Lippen. Er hatte fragen wollen, wie alt Muse war, denn er konnte sie nur schwer einschätzen. Sie hatte nichts Jugendliches an sich, aber sie wirkte auch nicht alt oder gar gebrechlich. Lange Zeit stand sie vollkommen still, wie verwurzelt mit dem Waldboden, ein Gewächs der Natur.
    Langsam lehnte Muse das mitgebrachte Porträt an den Sockel eines Baumstamms und rückte es zurecht, bis es ganz aufrecht stand. Dann löste sie das schwarze Samttuch und ließ es auf den

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