Intrusion
klirrten. Er kam sich vor wie ein Kaninchen, das ohne jede Fluchtmöglichkeit neben einer großen, hungrigen Bestie ausharren musste. Außerdem hatte die Klinge, mit der Slythe jetzt seine Fingernägel zu säubern begann, am Vortag noch nicht diesen mattroten Fleck aufgewiesen.
Und obwohl Slythe in den vergangenen vierundzwanzig Stunden durchaus getötet hatte, war der rote Fleck kein Menschen-, sondern Schweineblut, das er auf das Messer geschmiert hatte, um Raydon genau den Eindruck zu vermitteln, den er erzielt hatte.
Kieselsteine knirschten unter den Rädern des Wagens. Der Motor summte leise. Das Krächzen der fetten Krähen von den Türmen des Schlosses verstummte allmählich. Der Herzog hatte ungewöhnlich lange geschwiegen, aber seine Pose verriet, dass es nicht mehr lange dauern konnte, bis er das Wort ergriff.
Und wirklich senkte Julius den Arm und brach so den Kontakt zu den Göttern ab. Er räusperte sich und nahm die Pose des großen Denkers ein – das Haupt leicht nach vorn geneigt, die Stirn gerunzelt und das Kinn auf die geballte Faust gestützt. »Slythe?«, begann er. »Ich sage Slythe?«
»Ja, Euer Gnaden?« Der Meuchelmörder schien auf den Worten herumzukauen.
»Slythe, mir kam da eine großartige Idee«, sagte Julius. »Sie beantwortet eine profunde, eine hehre Frage zum Leben und … und so weiter. Das tut sie doch, Slythe, oder?«
»Wer tut was, Euer Gnaden?«
Es entstand eine Pause. »Die Philosophie «, erklärte Julius schließlich. »Die Philosophie tut das. Siehst du das nicht auch so, Slythe? Die Philosophie beantwortet eine profunde, hehre Frage zum Leben und so?«
»Sie versucht es, Euer Gnaden, wenn ich das richtig sehe«, entgegnete Slythe und schob das blutbefleckte Messer in eine verborgene Lasche seines Gewands. »Aber mich dürft Ihr da nicht fragen. Ich bin der Typ, der Messer wirft. Fassaden erklimmt. Sich durch Fensterspalte zwängt. Furcht und Schrecken hervorruft.«
Julius nickte und ordnete pedantisch die Falten seiner Toga. »Und du arbeitest zuverlässig, Slythe«, sagte er. »Wirklich, mit mehr als angemessener Sorgfalt. Aber ich hatte meine Gründe, dir diese Frage zu stellen, Slythe. Raydon ist beschäftigt. Stimmt doch, Ray, oder? Du schreibst meine Ausführungen nieder, nicht wahr? Hast du jedes Wort mitgekriegt, Ray? Jedes einzelne Wort? Raydon, ich will wissen, ob du meine letzte Bemerkung genau verzeichnet hast?«
Raydon hatte über das tief ausgeschnittene Kleid nachgesonnen, in dem Lady Mira am Abend zuvor beim Bankett erschienen war. Eine Erektion presste sich gegen den Papierstapel auf seinem Schoß. Er zuckte zusammen und kehrte erschrocken in die Gegenwart zurück. Verspätet kratzte der Gänsekiel über das oberste leere Blatt, aber er hatte zu fest aufgedrückt, und ein schwarzer Tuscheklecks spritzte auf das Papier, ehe die Federspitze abbrach. Seine Welt stand mit einem Mal still.
»Ich dachte, ich könnte unsere Fahrt mit einer tiefgründigen Bemerkung beginnen«, sagte Julius, ohne die zitternden Hände seines Chronisten zu bemerken. »Und? Ray? Wie hat sie dir gefallen?«
»Sehr gut. Mit das Beste, was ich von Euch kenne«, erwiderte Raydon wahrheitsgemäß. Er sah Slythe hilfesuchend an, aber der Meuchelmörder schien seine flehenden Blicke nicht zu bemerken.
Ein Schatten des Zweifels umwölkte die Züge des Herzogs. »Lies noch einmal vor«, sagte er über die Schulter hinweg.
Schweißperlen standen Raydon auf der Stirn. Ihm fiel kein einziges Wort ein. Seine Zunge fuhr nervös über die Lippen. Die Sekunden der Stille dehnten sich zu einem mörderischen Schweigen. Julius drehte sich halb herum. »Nun?«, fauchte er. »Hat dir die Bewunderung die Rede verschlagen? Ist das der Grund? Der Grund für deine Verzögerung, meine ich. Denn ich befahl dir … ja, ich bin ganz sicher … ich befahl dir, meine tiefgründige Bemerkung vorzulesen! Und zwar mit etwas Schwung, wenn ich bitten darf! Ich muss gestehen, dass mich dein Verhalten beträchtlich aufregt, Raydon, und du weißt, dass ich sehr zornig werden kann, wenn mich etwas aufregt.«
Raydon umklammerte mit beiden Händen seine Kehle. Slythe rollte die Augen. »Soll ich, Euer Gnaden?«, fragte er. Julius machte ein leidendes Gesicht, ehe er in edler Großmut nickte. Slythe wiederholte die Worte des Herzogs: »… zum Leben und so.«
»Ich denke, man kann das so stehen lassen«, meinte Julius und rieb sich das Kinn. »Obwohl sie bei Weitem nicht an meine vernichtende Kritik an der
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